»Natürlich ein sensibles Thema«

Bieber+Marburg möchte am Standort in Gießen ausbauen. Weil dabei vier Hektar Wald verloren gehen könnten, gibt es Diskussionen.
Gießen. Vier Hektar. Diese Zahl hat die politische Debatte in den letzten Tagen in der Stadt geprägt. Natürlich macht sie am Dienstagabend auch vor dem Bauausschuss nicht Halt. »Wir beschließen heute nicht, ob die vier Hektar Wald gerodet werden oder nicht. Und wir beschließen nicht, ob das noch 2022 geschieht. Heute beraten wir, ob wir prüfen lassen, welche Auswirkungen eine Erweiterung von Bieber+Marburg hätte. Die Koalition ist der Meinung, dass wir Fakten sammeln und prüfen sollten. Auf dieser Basis entscheiden wir dann später«, erklärt Michel Zörb von den Grünen. Natürlich habe auch Gigg+Volt ein Interesse daran, dass sich Firmen in der Stadt ansiedelten, führt Lutz Hiestermann aus. »Aber die Vernichtung dieses Wäldchens in der Nähe von Gießen ist ein sehr hoher Preis«, entgegnet der Fraktionsvorsitzende.
Seit 1958 in Gießen
Ausgangspunkt der Debatte: »Die Firma Bieber+Marburg, als stark expandierender Betrieb im Sektor Stahl-Verarbeitung und -Handel, in Gießen seit 1958 ansässig, möchte den Betriebsstandort am Steinberger Weg mittelfristig (2025 bis 2030) erweitern, um den weiterhin hohen Bedarf an Stahl-, Röhren- und Bauprodukten für die Bauindustrie und für den Maschinen- und Anlagenbau befriedigen zu können. Die Betriebsflächen für die Firma, die über den zur ersten Erweiterungsphase in 2009 aufgestellten vorhabenbezogenen Bebauungsplan planungsrechtlich gesichert wurden, sind - auch nach interner Optimierung der Arbeitsabläufe - inzwischen baulich ausgeschöpft«, heißt es in der Begründung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans »Erweiterung Firma Bieber+Marburg II«. Er stand Dienstag zur Entscheidung an. Die zuständige Dezernentin Gerda Weigel-Greilich von den Grünen sprach von einem »schweren und überlegten Schritt, denn wir haben heute über den Aufstellungsbeschluss zu beraten. Schwierig ist er, weil in letzter Konsequenz die Entnahme von vier Hektar Wald und die Aufforstung an anderer Stelle stehen könnte.« Das B-Plan-Verfahren werde aber als Vollverfahren mit einer Umweltprüfung durchgeführt. Noch sei überhaupt nicht klar, ob der Wald am Ende weichen müsse. »Jede Fragestellung bedarf einer vertiefenden Prüfung. Erst danach können wir über das Vorhaben beraten«, erklärte die Stadträtin. »Die letzten Tage waren von einer intensiven Auseinandersetzung geprägt. Wir sind allen für ihre konstruktiven Anregungen dankbar«, ergänzte Zörb. Hinter dem Klimaziel 2035 stünden die Grünen voll und ganz.
»Wir begrüßen, dass Unternehmen in die Region investieren und Arbeitsplätze schaffe«, skizzierte Manuela Giorgis die Position der FDP. Auch die CDU freue sich, dass ein heimisches Unternehmen expandiere. »Natürlich ist das ein sensibles Thema. Aber wir brauchen Geld, um das Klimaziel zu erreichen. Und Bieber+Marburg zahlt erhebliche Gewerbesteuer«, brachte sich Frederik Bouffier ein.
Hiestermann verwies unter anderem darauf, dass das Projekt gemäß aktuell gültigem Regionalplan nicht ohne Abweichungsverfahren möglich sei. Die Koalition aus Grünen, SPD und »Gießener Linke«, FDP, Freie Wähler und CDU stimmte bei Enthaltung von Gigg+Volt für die Aufstellung des B-Plans. Das Votum der Stadtverordneten steht aus.
»Wir wollen vernünftig zwischen den Interessen abwägen«, sagt der neue Bauausschussvorsitzende Fabian Mirold-Stroh von den Grünen im Gespräch mit dem Anzeiger. Dabei sollten alle Varianten und alle Szenarien, die sich aus einer Entscheidung ergeben könnten, berücksichtigt werden. Vier Hektar Waldversiegelung seien natürlich schlecht. Zudem wolle man nicht ewig weiter Wachstum haben. Für den Standort spreche jedoch die Bereitschaft von Bieber+Marburg, zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen umzusetzen und viel Fotovoltaik zu installieren. »Der Gleisanschluss ist natürlich ein gutes Argument«, betont Mirold-Stroh. Letztlich gelte es auch, Umwelt- gegen Klimaschutz abzuwägen. »Am Ende stehen die Fragen: Ist der Wald es wert? Oder ist der Klimaschutz es wert?« Energiegutachten, Verkehrsgutachten, Waldgutachten und Ausgleichsflächen würden in die Abwägung einbezogen, resümiert der Politiker. Stephan Scholz