»Nicht dauernd auf Krawall aus«

Der DGB wirbt für eine stärkere Organisation und mehr Mitbestimmung in den Betrieben
Gießen . Ohne ein paar blanke Zahlen geht es nicht, das weiß auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). 2018 haben sich 75,5 Prozent der Wahlberechtigten Arbeitnehmer an der Betriebsratswahl beteiligt. In Hessen arbeiten jedoch nur 46 Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb mit Betriebsrat - und lediglich elf Prozent aller Betriebe in Hessen haben überhaupt einen solchen. »Die Betriebe, die für Beschäftigte Schutz bieten wollen, die haben Betriebsräte«, betont Matthias Körner, DGB-Regionsgeschäftsführer für Mittelhessen.
Mit der Aktion »Zukunft geht nicht ohne Mitbestimmung« ruft die DGB vor den diesjährigen Betriebsratswahlen dazu auf, sich stärker innerhalb der Betriebe zu organisieren. »Starke Gewerkschaften und betriebliche Mitbestimmung sind wichtig für die Zukunft«, findet Körner.
Die Aufgaben und Kompetenzen sind vielfältig und umfangreich und die Corona-Pandemie macht es für die Betriebsräte nicht einfacher. »Die Pandemie hat gezeigt, warum Betriebsräte wichtig sind. Sie haben eine Schutzfunktion für Kolleginnen und Kollegen. Die Betriebsräte haben Schließungen verhindert, wie beispielsweise bei Poppe hier in Gießen«, schildert Gewerkschaftssekretär Robin Mastronardi. Betriebsratsarbeit sei nur dann erfolgreich, wenn Betriebsräte gemeinsam mit Gewerkschaften in den Kampf ziehen würden.
»Das ist auch eine Frage der gesellschaftlichen Beziehung«, bekräftigte der DGB-Kreisvorsitzende Klaus Zecher. Ein klassisches Beispiel ist laut Zecher die anstehende Erhöhung des Mindestlohns. »Eine stärkere gewerkschaftliche Verknüpfung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft sorgt dafür, dass Sozialabbaumaßnahmen über den Lohn nicht so einfach möglich ist«. Ein Thema, was auch Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Susanne Pitzer-Schild umtreibt. »Im Uniklinikum zum Beispiel sind Betriebsräte die Regel. Inhabergeführte Unternehmen mögen es aber in der Regel gar nicht, wenn da jemand ist, der noch was zu sagen hat.«
Je kleiner der Betrieb, desto seltener gebe es Betriebsräte. »Das sehen wir im Einzelhandel und bei Busunternehmen hier in Gießen recht gut«. Ab einer gewissen Anzahl Beschäftigter müsse zwar ein Betriebsrat gewählt werden, aber wenn ein Inhaber diesen kontrolliert, werde er wirkungslos. »Ein Betriebsrat muss auch gewollt sein«, betont Pitzer-Schild, die zudem für mehr Frauen in den Betriebsräten plädiert.
Deutschland habe eine recht konstante Anzahl an Mitgliedern in der Gewerkschaft. Das sei, so Zecher, nicht in allen Ländern der Fall. »In anderen Ländern wie Italien oder Frankreich gibt es einen sprunghaften Anstieg an Mitgliedern, wenn es Auseinandersetzungen gibt. Die treten dann wieder aus. Wir treten ja hier als Einheitsgewerkschaft auf und das bedarf kontinuierlicher Arbeit«.
Betriebsräte hätten, so sind sich die Anwesenden einig, große Vorteile. »Die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist höher, die Bindung an den Betrieb ist höher. Dadurch ist die Fluktuation geringer und es gibt ein besseres Betriebsklima«, umschreibt es Zecher. Mastronardi ergänzt, dass verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen innerbetrieblich nur mit einem Betriebsrat zu erreichen seien. »Man kann jammern oder einen Betriebsrat wählen«, verdeutlicht Körner. Ein solches Gremium sei ein wichtiger Bestandteil von Freiheit und Demokratie.
»Betriebsräte sind nicht dauernd auf Krawall aus«, betont Körner. Sie hätten ein langfristiges Interesse an der Entwicklung ihres Arbeitsplatzes und sorgten etwa für Kontinuität, wenn die Geschäftsführung wechselt. Mastronardi verweist zudem auf die Notwendigkeit stabiler und starker Betriebsräte angesichts von Digitalisierung und Transformation. Die Gewerkschafter sind sich sicher: »In Krisenzeiten übernehmen Betriebsräte Verantwortung für ihre Kollegen und die Zukunft der Betriebe. Zukunft geht nicht ohne Mitbestimmung«.