Nicht genug für einkommensschwache Haushalte
Vor dem Hintergrund stark steigender Energiepreise hatte das Stadtparlament mit breiter Mehrheit die Einrichtung eines Härtefonds für einkommensschwache Haushalte beschlossen.
Gießen (red). Vor dem Hintergrund stark steigender Energiepreise hatte das Stadtparlament mit breiter Mehrheit die Einrichtung eines Härtefonds für einkommensschwache Haushalte beschlossen. Er soll in den Haushaltsjahren bis 2026, und damit bis zum Ende der Wahlperiode, mit jeweils 120 000 Euro pro Jahr ausgestattet werden und einen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung von Stromsperren leisten. Für den Mieterverein ist dieses Projekt grundsätzlich richtig und notwendig, aber es kommt sehr spät und das Volumen des Fonds ist nicht ausreichend, wie der Verein in einer Presseerklärung erläutert.
Zur Erklärung heißt es: »Folgende Zahlen sind zu berücksichtigen: Im Jahr 2021 gab es 450 verhängte Stromsperren. Damit ergibt sich pro betroffenen Haushalt ein Auszahlungsbetrag von 264 Euro. Die aktuelle Strompreiserhöhung alleine macht aber schon 400 Euro pro Haushalt aus. Daran wird erkennbar, dass die Ausstattung des Härtefallfonds bei weitem nicht ausreichen wird«.
Haushaltsstrom sei für die Bezieher von Bürgergeld grundsätzlich in der Regelleistung enthalten. Dies gelte sowohl für die laufenden monatlichen Abschläge als auch für eventuell auftretende Nachzahlungen. »Hierfür muss der Leistungsempfänger aus der monatlichen Regelleistung einen Betrag ansparen. Es gibt hier in keinem Fall die Möglichkeit, dass die Kosten vom Jobcenter als Zuschuss übernommen werden.« Für Bezieher laufender Bürgergeldleistungen sei die Gewährung eines Darlehens möglich - das sei dann im Einzelfall zu prüfen. »Anders sieht es für Nicht-Leistungsbezieher, also Geringverdienende aus. Hier gibt es keine Möglichkeit für das Jobcenter, darlehensweise Hilfe zu leisten. Es ist also der Personenkreis aus den Haushalten mit niedrigen Einkommen, etwa die Bezieher von Mindestlohn, für die eine Inanspruchnahme des Notfallfonds in Betracht kommen könnte«, erklärt der Sprecher des Mietervereins, Stefan Kaisers.
Zeitnahe Auszahlung nötig
»Wenn es 2023 nicht zu Stromabschaltungen kommen soll, was ja das Ziel des Notfallfonds ist, muss es die Auszahlung zeitnah geben. Das darf nicht erst Ende 2023 kommen, bis sich die Stadt bequemt hat, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, um Energieschulden und Stromsperren vorzubeugen und die geplante Kommission eine Richtlinie entwickelt hat, die über die einmalige Zuwendungen entscheiden soll«, fordert man beim Mieterverein und fügt hinzu: »Das dauert alles wieder viel zu lange. Energiesperren gibt es ja nicht erst seit gestern, sondern das Problem ist älter als ein Jahrzehnt. Aussitzen war noch nie eine Lösung«.
Der Mieterverein regt an, dass ein Gremium aus Vertretern von Stadtverwaltung, Stadtwerken, Jobcenter, Schuldner- und Verbraucherberatung zügig zusammentritt und sich unbürokratisch mit den Regeln für die Auszahlung von Fondsmittel befasst. Haushalte mit geringem Einkommen sollten sich bei Androhung einer Sperrung des Haushaltsstroms oder der Heizenergie sofort an das Bürgerbüro beziehungsweise sofort an das Jobcenter oder die Schuldner- und Insolvenzberatung wenden. Dort wird geprüft, ob es sich um einen sogenannten Härtefall handelt, für den der Härtefallfonds zur Verfügung steht. Bei Vorliegen eines Härtefalls wird eine Vergleichsvereinbarung mit den Stadtwerken Gießen (SWG) geschlossen. Einen finanziellen Beitrag leisten dann auch die SWG, die auf einen Anteil ihrer Forderungen verzichten. Den Rest tragen der Härtefallfonds sowie die Bürger selbst.
»Andere Städte sind längst weiter als Gießen. In München wird der großzügig ausgestattete Härtefallfonds von der Stadt und den Wohlfahrtsverbänden getragen. In Bremen gibt es einen solchen Fonds seit Ende 2020, um die Belastungen aus der Corona-Zeit abzufangen. Und Hannover verfügt schon seit zehn Jahren über den enercity-Härtefonds e.V., der vom lokalen Energieversorger getragen wird. In Gießen sollten also auch die Stadtwerke Gießen mit ins Boot für den Härtefallfonds geholt werden.«