»Nicht mit Mitleidsblick begegnen«

»Tag der Clowndoktoren«: Dr. Bär, Dr. Schlau-Schlau und Dr. Musculus verschenken am Kirchenplatz in Gießen Glück
Gießen . »Darf ich Ihnen etwas Glück schenken?«, fragt Dr. Bärbel Bär und hält dem Mann, der gerade sein Fahrrad über den Kirchenplatz schiebt, eine Handvoll Marienkäfer entgegen. Ob es an der knallroten Nase der »Medizinerin« liegt, ihren bunten Kniestrümpfen oder den liebevoll von Hand bemalten Käfer-Steinen: Der Mann freut sich über das Angebot der Fremden. »Danke, das kann ich gut gebrauchen.« Eigentlich ist Dr. Bär, die im echten Leben Heidi Hawelka heißt, mit ihrem kunterbunten Outfit in Kliniken unterwegs, um kranken Kindern und Jugendlichen ein wenig Abwechslung in den Krankenhausalltag zu bringen. Zum diesjährigen »Tag der Clowndoktoren« verlagerten Dr. Bär und ihre Kollegen, Dr. Sören Schlau-Schlau und Dr. Musculus, ihre Bühne aber in die Gießener Innenstadt.
60 000 Patienten pro Jahr
Die Clowndoktoren sind größtenteils freiberuflich tätige Künstler, die vom Verein »Die Clown Doktoren« für ihren Einsatz ausgebildet und fachlich begleitet werden. »Wir besuchen pro Jahr rund 60 000 Patienten«, erzählt Hawelka, die seit Anfang 2020 als Clowndoktorin im Einsatz ist. Während der Corona-Pandemie seien die Besuche zunächst alle weggebrochen, später habe man Onlinevisiten auf die Beine gestellt, um die jungen Menschen im Krankenhaus trotz Abstandsgebot erreichen zu können. Seit dem vergangenen Herbst sind die Spaßmacher wieder live im Einsatz.
Die Arbeit als Clowndoktor ist dabei viel mehr als nur Slapstick, man braucht viel Einfühlungsvermögen. »Man muss erstmal durchatmen, um zu spüren, was gebraucht wird.« Daher gleiche auch keine Visite der anderen.
Dr. Sören Schlau-Schlau, der eigentlich Ulrich Fey heißt, ist bereits seit 1999 als Clowndoktor unterwegs. Gerade malt er mit Kreide einen großen Kreis auf den Boden vor einen der Markstände. Was wird das? »Das weiß ich noch nicht. Aber jeder, der nicht drum herum geht, wird angepupst.«
Die Arbeit als Clowndoktor könne manchmal mental belastend sein, erzählt er. Schließlich haben die Künstler immer wieder mit schwerkranken Kindern zu tun. Mit der Entscheidung für diesen Beruf gebe man in gewisser Weise auch »die Kontrolle über sein Gefühlsleben ab. Die Trauer muss man ertragen und sich mit ihr auseinandersetzen«. Größtenteils seien die Erlebnisse aber positiv: »Ich weiß nicht, wer wem mehr schenkt. Ich mache eine Arbeit, die anderen Spaß bringt. Das ist ein großes Glück.«
Für die Kinder sei es wichtig, »dass wir ihnen nicht mit dem Mitleidsblick begegnen. Wir schauen bei ihnen immer auf den gesunden Teil: Was können sie noch machen?«.
Gleichzeitig müsse man als Clowndoktor die Grenzen der jungen Patienten akzeptieren - was für das medizinische Personal angesichts der notwendigen Behandlung nicht möglich sei. »Wenn sie keinen Besuch von uns wollen, dann gehen wir wieder. Die Nase ist unser Schutz, ich gehe nicht privat hin. Wenn mich jemand doof findet, trifft es nicht mich als Person«, sagt Fey.
Malou Lehner alias Dr. Musculus bietet derweil einer Passantin, die das Glücksrad gedreht hat, das Heidi Hawelka für den Aktionstag gebastelt hat, eine Mini-Aufführung mitsamt Klobürste. Die junge Frau arbeitet seit Januar als Clowndoktorin. »Wir müssen niemanden unbedingt zum lachen bringen. Wichtig ist, dass die Menschen von uns positiv überrascht werden.«
Unterstützt werden die Clowndoktoren an diesem Mittag von dem Verein Ehrenamt Gießen. Die Helfer verteilen kleine Werbegeschenke gegen eine Spende. Denn die Künstler leben von ihren Visiten und müssen natürlich auch bezahlt werden. Für den Aktionstag auf dem Kirchenplatz hat Ehrenamt Gießen zudem den Stand organisiert und Infomaterial besorgt, »damit sich die Clowndoktoren ganz auf die Menschen konzentrieren können«, sagt Geschäftsführerin Angelika Nailor.
Auch Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher stattete den drei Spaßmachern einen Besuch ab. In der Seelsorge habe er mitbekommen, »welch wichtige Rolle sie sowohl für die Kinder als auch die Eltern und das medizinische und pflegende Personal spielen«, erzählt der frühere Pfarrer. »Gesundwerden hat nicht nur die medizinische Seite. Es geht weit darüber hinaus: Man muss sich geborgen fühlen, positive Gedanken sind wichtig.«
Spaß auf der Palliativstation
Natürlich darf auch der Rathauschef im Anschluss das Glücksrad drehen. Bei wem der Zeiger auf dem »Hauptglücksgewinn« stehen bleibt, der darf einmal in den großen Beutel greifen und einen »Trostteddy« für schlechte Zeiten mit nach Hause nehmen. Die bunten Figuren werden von freiwilligen Helfern selbst gestrickt und vom gleichnamigen Verein den Clowndoktoren zur Verfügung gestellt. Im Moment können sie aber aufgrund der Hygienevorgaben keine Geschenke zu den Patienten ins Krankenhaus bringen. Auch die Auftritte mussten angepasst werden, berichtet Hawelka. Seifenblasen etwa werden in den Kliniken nun nicht mehr mit dem Mund, sondern per Mini-Ventilator im Raum verteilt.
Zwar liegt das Hauptaugenmerk der Clowndoktoren auf Kindern und Jugendlichen im Krankenhaus. Aber auch Palliativstationen und Seniorenheime werden besucht. Spaß machen, wenn jemand im Sterben liegt - geht das? Ja, findet Heidi Hawelka. Einer ihrer ersten Auftritte sei bei einer älteren Frau gewesen. »Wir haben Musik gemacht und gesungen, aber sie konnte nicht mehr reagieren. Als ich ihr einen Libellenaufkleber auf die Hand geklebt habe, hat sie ihn sich angeschaut und gelächelt. Das war sehr bewegend.«
