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Nichts geht mehr im Seltersweg

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Von: Björn Gauges

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Ganz nah an den Fans: Revolverheld auf der kleinen Gießener Pop-Up-Bühne. Foto: Gauges © Gauges

Die Hamburger Pop-Rock-Band »Revolverheld« gibt ein Gratiskonzert im Seltersweg - und lässt sich von den Massen gebührend feiern

Gießen. Keine Absperrungen, kein Graben, kein grimmig dreinblickendes Security-Personal: Näher kann man der Erfolgsband »Revolverheld« bei einem Live-Konzert nicht kommen. Das gilt allerdings nur für diejenigen, die früh genug dran waren. Denn nichts ging mehr im Seltersweg, kurz bevor sich das Hamburger Pop-Rock-Quartett am Mittwoch gegen 15.30 Uhr zu einem kleinen Gratiskonzert auf einer mobilen Bühne angekündigt hatte.

Schon kurz vor dem Kaufhaus Galeria war Schluss, so dicht gedrängt standen die Menschen in der an diesem Vorweihnachtstag ohnehin äußerst belebten Einkaufsstraße. Von der anderen Seite aus sperrten die Ordnungshüter sicherheitshalber den Durchgang unterhalb des Elefantenklos ab, sodass sich von dort kein Nachzügler mehr vor die Bühne schieben konnte. Die Stimmung war dennoch ausgelassen und entspannt, als die Musiker dann eine knappe Viertelstunde später tatsächlich unter großem Jubel die kleine Bühne betraten.

Und das Quartett aus Hamburg zeigte sich sichtlich beeindruckt von der Masse, die ihnen unzählige Köpfe und Handys entgegenreckte. »Ist denn die ganze Stadt heute da?«, staunte Sänger Johannes Strate. Dabei hatten sie doch eigentlich nur eine »Schnapsidee« auf ihre Tauglichkeit prüfen wollen, wie er zu Beginn des Auftritts erzählte. »Wir haben uns vor einer Woche überlegt, wo es im Sommer schön ist«, sagte der Sänger. So kamen die Musiker auf den »Kultursommer« in Gießen, wo sie auch im August 2023 wieder auftreten werden. »Und dann dachten wir: Vielleicht ist es da ja auch im Winter schön.« So klingelte der Sänger kurzerhand bei Markus Pfeffer durch, dem Produktionsleiter des »Kultursommer«-Veranstalters Konzertbüro Bahl. Und der versprach ihm, eine Bühne für das Vorhaben zu organisieren. Eigentlich hatte die Band nun allerdings »erwartet, in einer dunklen Weihnachtsmarktecke vor zwei Räubern zu spielen«, lachte der Sänger. Da haben er und seine drei Mitstreiter sich jedoch getäuscht.

Ihr Gießener Publikum, Menschen aller Generationen vom mitklatschenden Kleinkind bis zur beseelten Seniorin, erwies sich nicht nur als begeisterungsfähig, sondern auch als überaus textsicher. So sprang der Funke zwischen Band und Fans direkt über. Strate zeigte sich zudem als blendend gelaunter Conferencier, der zwischen den Songs immer wieder kleine Anekdoten zum Besten gab. Dazu ließ er sich einen Glühwein reichen - trotz des lauen »Gießener Winters« - und entschuldigte sich vorsorglich bei den Geschäftsleuten der Straße. »Vielleicht könnt ihr euch alle nachher noch ein Brötchen kaufen«, schlug er vor, um eventuelle Verdienstausfälle zu begrenzen. Schließlich war während des Auftritts an einen Einkauf in den angrenzenden Läden nicht zu denken.

Dennoch erwies sich das von der Band und dem Gießener Veranstaltungsteam um Markus Pfeffer in kürzester Zeit gestemmte Projekt als Volltreffer, der sicher den ein oder anderen Besucher dazu animiert hat, anschließend noch einen Bummel durch die Einkaufszeile zu unternehmen oder einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt zu genießen. Und schöne Musik gab es auch noch. Bei aller Entspanntheit erwiesen sich die vier Bandmitglieder als versierte Musiker, die gekonnt ihre Mischung aus melancholischem Pop, hymnischen Refrains und griffigen Textzeilen auf die Bühne brachten. Dazu brauchten sie nicht mehr als zwei bis drei Akustikgitarren, ein Banjo und ein wenig Schlagwerk sowie Strates ausdrucksstarke Stimme. Der Klang ihres Vortrags war dabei bemerkenswert intensiv. Zumal sie darauf verzichteten, ihr Programm mit weihnachtlichem Zuckerguss zu überziehen. Nach dem Stück »Lass uns gehen« bemerkte Gitarrist Kristoffer Hünecke, dass sich mit den verwendeten Akkorden auch »Last Christmas« spielen lasse. Worauf Strate entgegnete: »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du es nicht tust.«

Tat er auch nicht. Dafür gab es am Ende noch zwei umjubelte Zugaben - »Wofür sind wir schließlich viereinhalb Stunden hierhergefahren« - und den Aufruf des Sängers, man möge doch gerne wieder im Sommer zusammenkommen, wenn »Revolverheld« am 31. August erneut in der Klosterdomäne auf dem Schiffenberg zu erleben sein wird.

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Kein Durchkommen: Dieser Ausblick bot sich am Mittwochnachmittag vom E-Klo aus über die kleine Bühne und den Seltersweg. Foto: Gauges © Gauges

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