Noch mehr Leihräder für Gießen

Das Gießener Leihradsystem ist stark ausgelastet, die Nutzerzahlen sind 2022 deutlich gestiegen. Die Stadt möchte die Leistung daher mit zusätzlichen Rädern und Leihstationen weiter ausbauen.
Gießen. Der letzte Fahrradklima-Test des ADFC von 2020 attestierte Gießen abermals, seit 2012 nur wenige Fortschritte erzielt zu haben und vielfach eher zu stagnieren. Die Möglichkeit, öffentlich Fahrräder auszuleihen, gehörte in der Auflistung mit zahlreichen Schwachpunkten allerdings explizit zu den ausgewiesenen Stärken. Einen wesentlichen Anteil daran hatten freilich Justus-Liebig-Universität (JLU) und Technische Hochschule Mittelhessen (THM) mit dem seit Sommer 2018 etablierten Fahrradverleihsystem, das einen gewachsenen flexiblen Mobilitätsbedarf bedienen sollte. Aufgrund des großen Erfolges beteiligte sich die Stadt daran zuletzt mit 95 Rädern. Und diese Leistung soll nun fortgeführt respektive noch weiter ausgebaut werden. Zudem sollen die ersten 20 Minuten für alle Nutzerinnen und Nutzer mit Wohnsitz in Gießen kostenfrei sein. Da der Vertrag mit dem momentanen Partner »Nextbike« zeitlich begrenzt ist, muss aber neu ausgeschrieben werden. Die beabsichtigte Laufzeit beträgt drei Jahre mit der Option einer zweimaligen Verlängerung um je zwölf Monate.
2022 so viele Ausleihen »wie nie zuvor«
Im Koalitionsvertrag haben sich Grüne, SPD und Gießener Linke eine »ambitionierte Verkehrswende« sowie eine »gerechte Verteilung des Verkehrsraums« auf die Fahnen geschrieben. Rad- und Fußverkehr sowie der ÖPNV spielen dabei eine zentrale Rolle. Das gilt gerade auch vor dem Hintergrund, bis 2035 die von den Stadtverordneten beschlossene Klimaneutralität zu erreichen und durch den Verzicht auf Pkw die Luftqualität zu verbessern. Den Bürgerinnen und Bürgern solle somit eine kostengünstige und attraktive Alternative gewährt werden, »um sich klimafreundlich durch die Stadt zu bewegen«, erklärt Bürgermeister Alexander Wright auf Anfrage des Anzeigers. Angestrebt wird darüber hinaus eine engere Verzahnung mit dem ÖPNV, nicht zuletzt zur einfacheren »Überwindung der ›letzten Meile‹ von und zur Haltestelle«.
Die stetig steigende Nachfrage und Auslastung der Leihfahrräder rechtfertige jedenfalls den Schritt, »das System im Zuge der Neuvergabe auszuweiten«. Im vergangenen Jahr seien immerhin über 225 000 Ausleihen in Gießen registriert worden, »so viel wie noch nie zuvor«. Die Stadt Gießen sei entsprechend »mit der bisherigen Entwicklung äußerst zufrieden«, insbesondere in jüngster Zeit, betont der Grünen-Politiker. Seitdem nach der Corona-Pandemie wieder deutlich mehr Studierende vor Ort sind, seien nämlich auch die Nutzungszahlen sehr stark angestiegen. »Nextbike« bescheinige ebenfalls eine »überdurchschnittlich gute« Resonanz.
Geplant ist, ab dem 1. August zunächst 100 von städtischer Seite finanzierte, maximal drei Jahre alte Räder zur Verfügung zu stellen und dieses Angebot zum 1. August 2024 - abhängig von den entstehenden Kosten - nochmals um 50 fabrikneue Leihräder zu ergänzen. Hinzu kommen 222 Velos von JLU und THM sowie einige weitere, die vom Landkreis und einem heimischen Fitnessstudio bezahlt werden. Das ergibt an circa 30 Stationen insgesamt über 360 Leihräder vornehmlich in den Farben blau, grün und rot.
Zusätzliche Stationen
Ferner soll bis spätestens Ende 2023 darüber entschieden werden, ob obendrein Lastenräder (optional mit E-Antrieb) angeschafft und in das Verleihsystem integriert werden. Sie wären indes von der Freifahrtsregelung in den ersten 20 Minuten ausgenommen.
Zu Beginn des neuen Vertragsverhältnisses müssen laut der im Internet aufrufbaren Leistungsbeschreibung verpflichtend an den sechs Standorten Landgraf-Philipp-Platz, Oswaldsgarten, Bahnhofstraße, Rathaus, Johanneskirche/Südanlage und Bahnhof Stationen eingerichtet werden. Um Vorschläge für etwaige neue Standorte oder sonstige Optimierungen wird gebeten. Gewünscht wird definitiv eine Platzierung »in direkter Nähe der ÖPNV-Haltestellen«, vor allem in West- und Nordstadt, entlang der Einfallstraßen sowie »idealerweise an zentralen Orten« in Allendorf, Kleinlinden, Lützellinden, Rödgen und Wieseck. Die Zahl der Räder und der Standorte zu erhöhen, so Wright, sei notwendig, »um das System zuverlässig am Laufen zu halten und leere Ausleihstationen möglichst zu vermeiden«.
Neben einer regelmäßigen Wartung, Reinigung, bei Bedarf Instandsetzung und technischem Kundenservice wird von dem künftigen Vertragspartner - der natürlich auch erneut »Nextbike« sein kann - unter anderem erwartet, dass durchschnittlich mindestens fünf Fahrräder pro Station bereitgehalten werden müssen und gleichzeitig genug freie Plätze für die Abgabe vorhanden sind. Die Umverteilung sollte mit emissionsarmen Fahrzeugen erfolgen und alle nicht mehr funktionstüchtigen Drahtesel seien sofort aus dem Verkehr zu ziehen. Um über den jeweiligen Zustand der Räder und Leihstationen informiert werden zu können, müssen die Nutzer Gelegenheit bekommen, auf direktem Weg online ein Feedback abzuschicken. Und dass der Anbieter einschlägige Erfahrungen mit zu den Gießener Anforderungen passenden Referenzen vorweisen kann, versteht sich vermutlich von selbst.