Notwendigkeit oft nicht bekannt

Eine der wichtigsten Aufgaben für Benjamin Lakowski ist, festzustellen, wo ein Baum eine Verkehrsgefährdung darstellt. Der Gartenamt-Mitarbeiter ist für rund 24 000 große und mittelgroße Bäume zuständig.
Gießen . Benjamin Lakowski vom Gartenamt ist in der Stadt für die rund 24 000 großen und mittelgroßen Bäume - die kleinen nicht mitgerechnet - zuständig. Als Leiter der Baumpflegeabteilung obliegt es ihm, diese über die gesamte Stadt verteilte Bäumeschar in Schuss zu halten. In den trockenen Sommern 2019 und 2020 war das größte Problem die fehlende Feuchte im Wurzelbereich, der mit umfangreichen Bewässerungsarbeiten durch das Gartenamt zumindest etwas abgeholfen werden konnte. Auch in 2022 sieht es diesbezüglich nicht rosig aus.
Verkehrsgefährdung ausschließen
Eine der wichtigsten Aufgaben für Lakowski ist festzustellen, wo ein Baum eine Verkehrsgefährdung darstellt. Durch Herunterfallen von Ästen oder gar dem Umkippen des ganzen Baumes. So mussten in näherer Vergangenheit eine mächtige Rotbuche am ehemaligen Parkplatz an der Ecke Neuen Bäue/Berliner Platz, eine mächtige Säuleneiche im Theaterpark, eine 60 Jahre alte Ulme neben der Einmündung der Senckenbergstraße in die Ostanlage und eine weitere stadtbildprägende 125 Jahre alte, 17 Meter hohe Rotbuche am Platz der Deutschen Einheit gefällt werden. Gar 37 mehr als 70 Jahre alte Pappeln fielen im Martha-Mendel der Motorsäge zum Opfer.
Solche Eingriffe in das Landschaftsbild machen sich die Fachleute im Gartenamt nicht leicht. Wenn aufwendige Baumpflegearbeiten von mehreren Jahren zum Erhalt der Verkehrssicherheit nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt sind, muss in den sauren Apfel gebissen werden. Was bedeutet: »Der Baum muss um.«
Oft gibt es ob des Fällens einen großen Aufschrei in der Bevölkerung, die kein Verständnis für so eine Maßnahme aufbringt, weil ihr die Notwendigkeit dafür nicht bekannt ist. Selbst wenn solch große Bäume hier und da gefällt werden müssen: »Der jährliche Zuwachs an Biomasse aller Bäume in der Stadt gleicht dies wieder aus«, so der Leiter der Abteilung Grünanlagen Richard Schnecking. Dies mag im ökologischen Sinn richtig sein. Auch wenn das Stadtbild punktuell leidet.
Dieses Themas angenommen hatte sich die AfD in einer umfangreichen Anfrage an den Magistrat. Dieser antwortete, dass es sich bei den zu fällenden Bäumen im Stadtgebiet um Bäume mit Vitalitätsverlusten und daraus resultierenden Gefährdungen für den Verkehr gehandelt habe. Neben Trockenheit und Wasserentzug, Schädlingen oder Pilzbefall seien zu klein gewählte Baumstandorte eine weitere Ursache. »Kommt ein Baum in seinen jungen Jahren noch mit geringem Wurzelraum klar, hat er es in der Konsequenz seines Wachstums im Alter bei nicht ausreichendem Wurzelraum schwer.« Das Gartenamt sei mit einem eigenen Baumkontrolleur und dem Sachgebietsleiter städtische Baumkontrolle und Baumpflege fachlich bestens in der Lage, die im Rahmen der Regelkontrolle festgestellten Symptome eigenständig zu bewerten und die daraus resultierenden Maßnahmen festzulegen. Eines weiteren externen Sachverständigen bedürfe es dabei nicht. Auf die Frage nach den Baumpflegearbeiten: »Jährlich werden im Stadtgebiet 900 baumpflegerische Maßnahmen durchgeführt.« Den größten Umfang nähme derzeit die Totholzentnahme ein, gefolgt von Kronpflegearbeiten zur Verbesserung und Stabilisierung des städtischen Baumbestandes. »Kroneneinkürzungen, Kronenteileinkürzungen sowie Lichtraum-Profilschnitte bilden den geringsten Anteil der baumpflegerischen Maßnahmen.
Zur Anfrage nach der Entscheidung, eine Baumreihe von Pappeln im Martha-Mendel-Weg zu fällen: »Es handelt sich hier um einen stark frequentierten Rad- und Fußweg. Die Pappeln standen in unmittelbarer Nähe zum Radweg bei einem Alter der Pappeln von mehr als 80 Jahren.« Der Eingriff sei bewusst als ein starker gewählt worden, damit sich fortan eine neue Vegetation entwickeln könne - »gewässerbegleitend optimal.« Eine teilweise Auflösung der Baumgruppe mit den daraus resultierenden Gefahren hätte dies nicht so ermöglicht und habe an diesem Standort nicht zur Debatte gestanden.
Grundlage für neue Gehölze geschaffen
Die konkrete Gefährdung der Verkehrssicherheit habe darin bestanden, dass seit mehreren Jahren für die Pappeln die Baumfällung als letzte Maßnahme diskutiert und »immer wieder mit großem Aufwand die Verkehrssicherheit wiederhergestellt« worden sei. Bei den gefällten Bäumen hätte sehr stark in den Kronenraum eingegriffen werden müssen, um die Bruchsicherheit gewährleisten zu können. »Ein solcher Eingriff birgt bei einer Pappel als schlechter Kompartimentierer (Abschottung des gesunden Holzes hinter der Schnittstelle) weitere Gefahren.« Außerdem sei durch die komplette Entnahme die optimale Grundlage für die Entwicklung neuer standortgerechter Gehölze geschaffen worden. Ob für die im Martha-Mendel-Weg und der Wieseckaue gefällten Bäume als Ausgleich in naher Zukunft neue Bäume gepflanzt werden? »Für die im Martha-Mendel-Weg gefällten Bäume ist als Ersatz vorgesehen, die natürliche Entwicklung von Gehölzen am Standort zu ermöglichen und zu befördern.« Es werde sich eine natürliche, gewässerbegleitende Vegetation einstellen, so die Antwort des Magistrats.
Der Bereich werde somit der natürlichen Sukzession (natürliche Rückkehr der für einen Standort typischen Pflanzen) überlassen. »Die Pappeln sind hier nicht die standorttypischen Pflanzen.« Nach ihrer Entnahme werde es am Standort eine größere Artenvielfalt auch im Hinblick auf die Insekten- und Vogelwelt geben. Mit wie vielen Rodungsmaßnahmen aufgrund von Kronschädigung in den nächsten Jahren zu rechnen ist? »Sicherlich gibt es im Stadtgebiet eine Vielzahl vorgeschädigter Bäume.« Aber dies bedeute nicht bei jedem eine automatische Baumfällung. »Es ist unsere tägliche Aufgabe, abzuwägen, wie hoch die Gefährdung für den Verkehr durch die festgestellten Symptome ist.« Auch hier sei die Baumart entscheidend, ob ein Baum sogleich gefällt werden müsse oder ob man seine Standzeit durch baumpflegerische Maßnahmen verlängern könne. Ab dem 1. Oktober ist es der Stadt wieder gestattet, Bäume zu fällen. Eine Ausnahme besteht bei »Gefahr in Verzug«. Wie viele Bäume und welche Arten noch im Jahr 2022 gepflanzt werden sollen? »Die Pflanzliste orientiert sich eng nach der Baumfällliste.«