1. Startseite
  2. Stadt Gießen

Poesie, Parodie und Politik

Erstellt:

gikult_OpenStage06_21022_4c
Die Band Fogel F um Sänger und Organisator Constantin Pukownick sorgte für den musikalischen Rahmen des Programms in der Kleinen Bühne. Foto: Schultz © Schultz

»Kritische Kleinkunst«: Ein neues Format mit Musik, Poesie und politischen Themen kam in der ausverkauften Kleinen Bühne bestens an.

Gießen. Ein Abend der »kritischen Kleinkunst« sollte es werden, sagte Organisator Constantin Pukownick, und ebenso inhaltlich wie musikalisch hörenswert wurde es dann auch. Allen voran lieferte die Band Fogel F das musikalische Grundgerüst, dazu kamen Poesie, Parodie und Rap. Das Publikum in der ausverkauften Kleinen Bühne zeigte sich restlos zufrieden.

Pukownick und das Team der Kleinen Bühne zeigten sich gespannt über die Premiere dieses neuen Formats. Es sollte durchaus kabarettistisch werden, stellte Andreas Helm vom Organisationsteam eingangs fest und erinnerte daran, dass ein Grundstein des deutschen Kabaretts, die Münchner Lach- und Schießgesellschaft, gerade nach 67 Betriebsjahren ihre Pforten geschlossen hat. »Es ist wichtig, dass die Politik wieder einmal auf die Bühne kommt,« sagte Pukownick, der den Abend darüberhinaus unter den Aspekt des miteinander Redens ohne Vorurteile stellte.

Den Auftakt machte dann Fogel F, Pukownicks aktuelle Band, an der neben ihm als Sänger und Gitarrist auch Helena Klass (Geige), Rafael de la Vega (Saxophon), Jan Biedenkopf (Klarinette) und Julien Briant (Kontrabass) beteiligt sind. Die Truppe präsentierte eine Reihe seiner Titel, durchweg etwas schräg oder auch mal schräg gestimmt, die durch ihre originellen Texte auffielen: »Ich liebe die Gedanken, die gesunden und die kranken« heißt es da launig in »Wie du meinst«. Die Band pflegte einen leicht klezmerischen, aber nicht einschmeichelnden Duktus. In »Like« etwa geht Pukownick gut arrangiert und flott den leidenschaftlichen Gebrauch des »sozialen« Universums an (»Volkskrankheit«) und lästert »Ich glaub an Selbstheilung durch Likes«. In »Wurst« geht es respektlos um die neuen Glaubensrichtungen (»Veganes Leben ist möglich«), das Saxophon wiehert dabei vor Lachen. Unverhoffte Poesie folgte mit »Freude am Kapitalismus«, in dem es heißt: »Es blühen die Moneten, es duftet nach Konsum«.

Den musikalischen Rahmen unterbrachen diverse Solonummern, quer durch die Genres ausgesucht. Witziges kam von Sabine Lohmann. Sie trug im Berliner Dialekt »Wegen Emil seine unanständ’ge Lust« vor, ein Chanson von Julian Arendt (1895-1938), einem Kabarettautor, der auch Lieder für Claire Waldoff schrieb. Jochen Rudolph präsentierte eine Reihe an Dialekten und polemischen Texten, etwa über den Mainstream-Hype der Tätowierungen und »Schwermetalle im Gesicht«.

Nicht alle Nummern waren Knaller, aber das Publikum hatte offenbar auch Lust auf nicht-karnevalistische Kost. Andreas Helm knöpfte sich die Bundesminister Annalena Baerbock und Robert Habeck vor (»Ich kauf’ kein Gas vom Autokraten, das hol’ ich mir von andern Schurkenstaaten«) und machte das sicher und prägnant. Angenehm heiter präsentierte Anika Brummer ihren Vortrag in Reimen über die Klitoris, mitsamt 3-D-Modell.

Die Partei und Die Basis

Marco Rasch, Kreistagsabgeordneter für Die Partei, feuerte eine Breitseite gegen Neofaschisten, Reaktionäre und Narren im allgemeinen ab: »Es geht darum, dass Narren, Pappnasen und Vollpfosten eine Bühne bereitet wird. Es ist also nicht verwunderlich, dass heute auch al-Qaida (zu Deutsch: die Basis) hier auf der Bühne steht«, sagte er mit Blick auf den ebenfalls eingeladenen Fabian Kreßner von der Kleinpartei Die Basis, die als parteipolitischer Arm der »Querdenken«-Bewegung gilt. »Die AfD und die NPD hatten keine Zeit, da ist das eben am nächstliegenden-, ätzte Rasch.« Veranstalter Pukownick hatte einleitend gesagt, er habe »auch die unangenehmen Parteien« eingeladen. Durchaus sinnfällig waren die Texte, die Kreßner ohne Soundbegleitung vortrug. Der junge Rapper (»Ich bin so rechts wie Hinteregger und Xavier Naidoo«) bewegte sich an der Grenze zum Poetry-Slam und vertrat generell humanistische Werte. Vieles ging in seinem superschnellen, irgendwie auch mitreißenden Vortrag jedoch einfach verloren.

Gerd Brückmann aus Kassel sprach sich in seinem kabarettfreien Kurzvortrag über Inklusion und Leben in Wertschätzung anderer für einen achtsameren Umgang miteinander aus. Er koppelte verblüffende Fakten mit einer anrührenden Geschichte darüber, wie er als Behinderter einem anderen Behinderten helfen konnte. Sein Appell für mehr Empathie erhielt großen Beifall.

Insgesamt war der Abend ein voller Erfolg, wenn er auch mit drei Stunden Dauer die üblichen Grenzen überschritt. Eine Fortsetzung scheint möglich.

Auch interessant