Polizei weist Vermieter die Tür

Am Freitagmorgen eskaliert am Nahrungsberg in Gießen ein schon lange schwelender Wohnungsstreit. Die Polizei muss einschreiten und versichert der Bewohnerin: »Das Mietrecht ist auf Ihrer Seite.«
Gießen. Ein seit längerem schwelender Streit zwischen einem Hauseigentümer am Nahrungsberg und einer Mieterin ist am Freitagmorgen so eskaliert, dass die Polizei den vorläufigen Rechtsfrieden wiederherstellen musste.
Die Mieterin hatte laut ihrer Darstellung vor zweieinhalb Jahren dem Immobilienunternehmer ihren Anteil am Gemeinschaftseigentum des Hauses gegen die Zusicherung verkauft, als Mieterin in ihrer Wohnung bleiben zu können. Allerdings habe sie die Wohnung schon nach kurzer Zeit räumen und in eine andere Unterkunft des Eigentümers ziehen müssen, weil der die marode Heizungsanlage der Gründerzeit-Villa renovieren wollte. Stattdessen habe der Eigentümer jedoch die Wohnung geteilt und komplett umgebaut.
Der Eigentümer sah das anders. Nach seiner Darstellung sei der Mietvertrag ohnehin befristet gewesen, da er mit dem Haus eigene Pläne habe. Das sagte er vor dem Gießener Amtsgericht, vor dem sich beide Seiten trafen, um ihren Streit juristisch zu klären. Das Amtsgericht gab der klagenden Mieterin am Ende recht und ordnete den Rückbau der Wohnung in deren ursprünglichen Zustand an.
Der unterlegene Vermieter wollte sich mit diesem Urteil jedoch nicht abfinden, wechselte den Anwalt, ging in Berufung, ließ die Wohnung seiner Mieterin weiter umbauen und wechselte obendrein das Wohnungsschloss aus. Als die Mieterin daraufhin Strafanzeige erstattete, flatterte ihr die fristlose Kündigung zum 31. März in den Briefkasten, sowohl für die eigentliche Wohnung, als auch für die Umsetzwohnung, in der die alleinerziehende Mutter mit ihrer Tochter seit über zwei Jahren lebt.
Noch vor Ablauf dieser Frist stand nun am Donnerstag jedoch plötzlich ein neuer Name auf dem Klingelschild. Auf Anraten ihres Rechtsanwaltes ließ die Mieterin durch einen Schlüsseldienst die Schlösser ihrer Eingangstür und zu ihrer Wohnung im ersten Stock austauschen. Da die Mieterin eine Eskalation befürchtete, bat sie zwei Aktivisten der Initiative »Stadt für alle«, die sich dem Kampf gegen Gentrifizierung und »Vermieterwillkür« verschrieben hat, in den derzeit nicht bewohnbaren Räumen die Stellung zu halten.
Gegen 8.30 Uhr wollte dann am Freitag einer der Aktivisten nach unten gehen, um nach den dort abgestellten Fahrrädern zu schauen. Im Treppenhaus habe ihn der Vermieter indes abgefangen, heftig verbal attackiert und am Arm gepackt, berichtete er später. Gleichwohl habe er sich losreißen und nach oben flüchten können. Die beiden Studenten verständigten daraufhin die Mieterin, die Polizei und die Presse. Da der Vermieter wegen der verschlossenen Tür nicht in die Wohnung gelangen konnte, versuchte er sein Glück über das Baugerüst, kletterte aber wieder unverrichteter Dinge hinab.
Die beiden mittlerweile eingetroffenen Polizeibeamten teilten den Aktivisten mit, dass gegen sie eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt werden solle und sie das Haus verlassen müssten. Nachdem sie jedoch den Mietvertrag für die Wohnung vorweisen konnten, hatte sich die vom Vermieter angestrebte Strafanzeige erledigt.
Vor dem Haus diskutierten anschließend der Vermieter und sein Rechtsanwalt mit der Polizei. Die Polizisten beruhigten anschließend die Mieterin und die sie unterstützenden Aktivisten mit den Worten »Das Mietrecht ist auf Ihrer Seite«. Wenn es weiterhin Ärger oder Drohgebärden gebe, sollten sie erneut die Polizei anrufen. »Nicht stupsen, anfassen oder anmachen lassen!«, so ihre Aufforderung. »Wir, die Polizei, müssen zusehen, dass alles friedlich bleibt«.
Zuvor hatten die Beamten auch den Vermieter über die Rechtslage informiert. Darauf erklärte der Rechtsanwalt seinem Mandanten, dass der Wohnungsbereich für ihn eine verbotene Zone darstelle. Er solle »drum herum arbeiten«.
»Ich muss seit dem 9. Februar 2021 in einer möblierten Studentenbude im Dachgeschoss in einem schmalen Bett schlafen«, beklagte die 52-jährige Mieterin, deren Tochter mittlerweile zwölf Jahre alt ist. Sie hofft jetzt, dass der Vermieter wieder zu einem vernünftigen Umgang mit ihr zurückfindet und sie möglichst bald wieder in ihre alte Wohnung zurückkehren kann, ohne den Rechtsstreit in die nächste Instanz tragen zu müssen.