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Radfahrer haben größere Auswahl

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Von: Benjamin Lemper

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Hinter der Neuen Post gibt es nun Doppelstockparker, eine Garage, Einzelboxen und Reihenbügel für Fahrräder. Foto: Lemper © Lemper

Am Bahnhof in Gießen können nun 425 zusätzliche Stellplätze für Fahrräder genutzt werden - in verschiedenen Varianten und mit flexibler Mietdauer. Die Maßnahme hat 1,2 Millionen Euro gekostet.

Gießen. Die Abstellanlagen für Zweiräder sind rund um Gießens Bahnhof häufig überfüllt - auch mit offenkundig fahr-untauglichen Drahteseln, die dann regelmäßig weggeräumt werden müssen. Dass die Kapazitäten nicht ausreichen, führt bisweilen dazu, die Velos überall anzuketten, teils direkt vor der Eingangstür oder am Geländer vor Gleis 1. Zusätzlich zu den bereits vorhandenen fast 900 gibt es ab sofort aber noch 425 Plätze mehr - und zwar in verschiedenen Varianten, insbesondere hinter dem Gebäude der ehemaligen Neuen Post und an der Brücke zum Alten Wetzlarer Weg. 1,2 Millionen Euro sind insgesamt in das Projekt investiert worden, informierte Bürgermeister Alexander Wright bei der offiziellen Einweihung. Auch der ADFC-Kreisverband zeigt sich zufrieden. So verweist Vorstandsmitglied Dr. Jan Fleischhauer auf Anfrage des Anzeigers darauf, dass in Hessen nun kein Bahnhof mehr »Bike & Ride«-Stellplätze biete als Gießen. Angesichts von täglich über 30 000 Reisenden, die an Mittelhessens »mit Abstand wichtigstem Bahnhof« ein-, aus- und umsteigen, sei das durchaus von erheblicher Relevanz.

Lange hatte es gedauert, bis die Pläne umgesetzt werden konnten. Denn vor Beginn der Arbeiten musste zunächst die vorgesehene Brachfläche auf Kampfmittel untersucht werden. Aufgrund der Corona-Pandemie war dieser notwendige Zwischenschritt jedoch verschoben worden, da im Falle eines Bombenfundes auch umliegende Kliniken hätten evakuiert werden müssen, die ohnehin an der Belastungsgrenze arbeiteten. Schließlich sorgte das verheerende Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen für eine weitere Verzögerung, weil der Katastrophenschutz, der bei einer Evakuierung gebraucht worden wäre, dort im Einsatz war.

Wildes Parken reduzieren

Nach knapp zehnmonatiger Bauzeit haben Pendler jetzt eine Vielzahl an Möglichkeiten, um ihr Rad auf 900 Quadratmetern sicher zu verstauen: Entstanden sind - vom ADFC empfohlene - 192 überdachte und kostenlose Doppelstockparker, 96 kostenpflichtige Plätze der gleichen Bauart in einer verschließbaren Garage, 24 Plätze in Einzelboxen hinter der Neuen Post und doppelstöckig nochmals zwölf am Alten Wetzlarer Weg, 83 Plätze an Reihenbügeln und sechs Plätze für Lastenräder. An eine Reparaturstation ist ebenfalls gedacht worden. Und weil Bahnhöfe und ihre Umgebung oft auch als Angsträume wahrgenommen werden, sind obendrein zahlreiche Lampen angebracht worden, die in dieser etwas abgelegeneren Ecke »eine Helligkeit wie an einem Zebrastreifen gewährleisten«, so Wright. Gespeist werde die Beleuchtung übrigens aus Photovoltaik, die noch auf den Dächern zu installieren ist. Obendrein sollen drei feste Videokameras der Überwachung und der Abschreckung von Kriminellen dienen.

Vorausgegangen war unter anderem eine Umfrage über die Plattform »Gießen direkt«, um den Bedarf zu ermitteln, erinnerte die städtische Radverkehrsbeauftragte Katja Bürckstümmer. Auch vom »Runden Tisch Radverkehr« und dem ADFC kamen Anregungen. »Wir haben gemacht, was möglich ist und noch gut aussieht«, ergänzte der Bürgermeister. Vor allem gelte es, den Parkdruck und das wilde Parken zu reduzieren und die Mobilitätsauswahl zu fördern - sprich: praktikable Alternativen zu schaffen, um Radfahren und ÖPNV noch besser kombinieren zu können.

Darüber hinaus sollte der stark frequentierte Übergang zum Alten Wetzlarer Weg und zur Friedrichstraße qualitativ aufgewertet und - zum Beispiel mit taktilen Elementen - barrierefrei gestaltet werden. Ausgeführt hat die umfassenden Maßnahmen an beiden Standorten die Firma Weber aus Rechtenbach.

Mietdauer ist frei wählbar

Einzelboxen und Garagenplätze sind im Internet unter https://www.bikeandridebox.de/ oder über eine dazugehörige App nach einmaliger Registrierung (deutschlandweit) mit persönlichem Zugangscode - auch spontan - buchbar. Die Mietdauer kann beliebig ausgewählt werden. Die Einzelbox kostet pro Jahr 100 Euro, im halben Jahr 60 Euro, pro Monat 15 Euro, pro Woche fünf Euro und tageweise zwei Euro. Für die Sammelgarage sieht die Preisstaffelung wie folgt aus: 60 Euro im Jahr, 36 Euro im Halbjahr, neun Euro im Monat, drei Euro in der Woche und 1,20 Euro am Tag. Die jeweils oberen Plätze lassen sich mithilfe einer speziellen Konstruktion samt Federung und hydraulicher Rampe mit minimaler Kraftanstrengung nutzen. Bei schwereren E-Bikes ist es aber vermutlich einfacher, sie bloß in die unteren Etagen zu schieben.

Der an den Planungen beteiligte ADFC ist zuversichtlich, dass mit der neuen Ausstattung »nicht nur Personen angesprochen werden, die täglich mit der Bahn pendeln, sondern auch Menschen, die nur ab und zu mit der Bahn fahren und das Rad nur für einen Tag oder wenige Tage sicher abstellen möchten«. Zwar könne es als »problematisch« eingestuft werden, dass die Anlage »von den Gleisen relativ weit entfernt ist«, so Jan Fleischhauer. Trotzdem sei das »große Engagement« der Stadtverwaltung zu würdigen, »unter den gegebenen Umständen - Keilbahnhof mit wenig verfügbaren Flächen - eine optimale Lösung in dieser schwer einsehbaren Sackgassenlage« entwickelt zu haben, die den Ansprüchen unterschiedlicher Zielgruppen gerecht werde. Dies sei für die angestrebte Klimaneutralität der Stadt sehr wichtig, »denn der Großteil der Kohlendioxid-Emissionen im Verkehr entsteht bei den eher seltenen, aber längeren Fahrten respektive Reisen«. Gute »Bike-&-Ride«-Anlagen seien ein wesentlicher Baustein, um die Attraktivität der Bahn im Nah- und Fernverkehr zu erhöhen und das Umsteigen zu beschleunigen.

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Bürgermeister Alexander Wright demonstriert, wie sich die Fahrräder in die oberen Boxen befördern lassen. Foto: Lemper © Lemper

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