Räumlichkeiten dringend gesucht

Die Interessenvertretung der Freien Kulturszene Gießen bewertet die Stadtpolitik und formuliert Wünsche und Vorschläge.
Gießen. Manche kulturpolitische Baustelle von Stadtpolitik und -verwaltung abgeräumt, andere in Bearbeitung, auf wieder anderen weiterhin Stillstand: So fällt die Zwischenbilanz des Arbeitskreises Interessenvertretung in der Freien Kulturszene Gießen aus. Vor nahezu exakt drei Jahren hat sich die Initiative im Vorfeld der Kommunalwahl mit einem Positionspapier öffentlich zu Wort gemeldet, in dem zahlreiche kulturpolitische Forderungen aufgelistet wurden: von der Schaffung einer Freilichtbühne über den Ausbau des Angebots an Bandproberäumen bis zur Förderung des Nachtlebens. Nun hat sich der Arbeitskreis erneut zusammengetan, um die seitherige Arbeit von Politik und Verwaltung zu bewerten. Bei einem Pressegespräch wurden die Ergebnisse vorgestellt.
Probenräume großes Problem
Grundsätzlich »haben wir den Eindruck, dass einiges in Bewegung kommt und sich die Stadt nicht nur in Sonntagsreden für die Kultur einsetzt«, sagt Jan Buck von der Raumstation3539. Dennoch gebe es zahlreiche Themen, bei denen dringender Handlungsbedarf bestehe. Das wohl aktuell größte Problem stellt sich für den Arbeitskreis derzeit angesichts der Situation um die städtischen Bandprobenräume im Europaviertel. Da der Kulturinitiative KiG der Mietvertrag für zwei Immobilien zum Ende des Jahres 2024 gekündigt werde, drohten dort rund 100 Proberäume wegzufallen, die von rund 200 Musikern, Bands und Projekten aus ganz Mittelhessen genutzt werden, klagt Thomas Steup vom Vereinsvorstand des KiG. Derzeit sei man auf der Suche nach einer räumlichen Alternative. »Doch im Stadtgebiet sieht es nicht gut aus. Wir schauen jetzt auch in den umliegenden Gemeinden.«
Da ähnliche Orte wie die ehemaligen Kasernengebäude im Europaviertel kaum zu finden seien, werden sich die Probenräume künftig möglicherweise auf mehrere Standorte verteilen müssen. Doch das wäre fatal für das »musikalische Ökosystem der Stadt«, aus dem sich in den vergangenen Jahren so viele talentierte Bandprojekte entwickelt hätten, befürchtet Steups Mitstreiter Alexander Vasil. Zudem könne schon jetzt der Platzbedarf nicht annähernd gedeckt werden. Die Warteliste sei lang, berichtet Lukas Richter vom KiG-Vorstand. »Jetzt versuchen wir erst einmal, den Super-GAU abzuwenden.« Immerhin: Gespräche mit der Stadt seien avisiert.
Fehlende Räume sind ein grundsätzliches Problem, dass dem Arbeitskreis zu schaffen macht. Zwar komme die Planung des Kulturgewerbehofs in der Alten Feuerwache voran, doch damit sei der Bedarf der Freien Szene nicht annähernd zu decken. Anna Bühne, Geschäftsführerin des ZiBB, kritisiert daher nicht nur den Wegfall von ehedem genutztem Raum, sondern auch eine fehlende Berücksichtigung von entsprechenden Angeboten bei der Entwicklung von neuen Wohn- und Gewerbegebieten. Es sei kein Ansatz zur strukturellen Verbesserung in der Stadtplanung sichtbar, wie etwa die Neubaugebiete im Osten der Stadt zeigten. »Wenn aber kein Platz für die Kultur bleibt, dann werden solche Viertel zu reinen Schlafstätten ohne urbanes Leben«, warnt Jakob Handrack von der Kulturkirche St. Thomas Morus.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken wünscht sich Jan Buck in Sachen Nachtleben etwa ein Kataster, mit dem nachvollzogen werden könne, warum einzelne Gastronomen und Clubbetreiber in den vergangenen Jahren aufgegeben haben. Zwar habe auch der Arbeitskreis keine fertigen Antworten, wie sich das Gießener Nachtleben beleben lasse. Am Beispiel des weithin bekannten und mittlerweile abgerissenen Nachtclubs Haarlem zeige sich aber, dass die Stadt nicht eingegriffen habe, um den Ort als Ausgeh-Adresse zu retten. »Dort steht jetzt ein Hotel.« Helfen könne etwa eine Kulturflächenverordnung, bei der festgeschrieben werde, dass drei Prozent eines Bauprojekt für die Kultur zur Verfügung gestellt werden müssten.
Kritik an hohen Hürden
Ebenfalls kritisiert wird vom Arbeitskreis die Ordnungspolitik der Stadt, die Veranstaltern hohe Hürden auferlege. In Sachen Auflagen fehle es an Transparenz, viele könnten den komplizierten bürokratischen Vorgaben nicht mehr folgen, wenn es etwa um Hygienekonzepte geht. Anna Bühne wünscht daher eine Möglichkeit, mit der Veranstaltungen »online und niedrigschwellig angemeldet werden können«.
Weitere Punkte, die im Papier aufgelistet werden: die energetische Sanierung vorhandener Räumlichkeiten. Die Barrierefreiheit. Die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber auch positive Entwicklungen werden vermerkt. Dazu zählen etwa zwei Workshops sowie eine Umfrage, um Chancen der Ausgehkultur ausfindig zu machen und dem Nachtleben neue Freiräume zu ermöglichen. Ebenso die mobile StadtRaumBühne, auf der Künstler sich überall im Stadtraum präsentieren können. Ebenso wie die Kooperation bei der Suche nach einem Open-Air-Gelände, dass die Fläche im Schiffenberger Tal ersetzen könnte.
»Wir wollen immer wieder bei den Verantwortlichen für unsere Ziele werben«, erklärt Jan Buck. Nun seien der Arbeitskreis und die Freie Szene gespannt, wie die Politik auf das Positionspapier reagiere. Schließlich gehe es nicht nur ums Fordern, man biete auch konkrete Lösungsvorschläge an. Denn, so zeigt sich Nachttanzdemo-Organisator Alexander Vasil überzeugt: »Man kann da schon noch was für die Kultur machen.« Und zwar auch ganz konkret, wie das KiG zeigt: Das nächste vom Verein organisierte und kostenlose Open-Air Ya Hozna mit zahlreichen lokalen Musikbands findet am 23. und 24. Juni statt.
Das komplette Positionspapier des Arbeitskreises ist über die Internetseite der Raumstation3539 einsehbar: https://raumstation3539.net.