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»Schipkapass« fast unpassierbar

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Gasthaus seit über 100 Jahren: Das markante Gebäude wurde von dem Braumeister Ihring im Jahr 1901 errichtet. Foto: Frahm © Frahm

Eine der ältesten Gießener Gaststätten ist nach einem Kriegsschauplatz benannt: der Schipkapass - die Lösung unseres Sommerrätsels. Heute heißt das Lokal in dem Gebäude »Mama Africa«.

Gießen. Eine beliebte Gaststätte stand bereits vor über hundert Jahren an der Ecke Bahnhofstraße/Kaplansgasse. Daran hat sich bis heute nichts geändert. »Mama Africa« empfängt dort seit geraumer Zeit ihre Gäste, doch zuvor hieß das Lokal »Schipkapass« - und im Volksmund wird das wohl auch immer so bleiben. »Schipkapass« war dann auch die richtige Lösung im zweiten Teil unseres Sommerrätsels. Viele Leser haben das gewusst, doch manches zur Geschichte des markanten Gebäudes wird ihnen neu sein:

Geschichten und Anekdoten

Der spätere russische oberste Heerführer Russlands, Georg Cancrin, studierte um 1800 in Gießen und traf sich in der Gaststätte mit anderen revolutionären Studenten, um über die politischen Verhältnisse zu diskutieren. Anno Domini 1877, der russisch-türkische Krieg tobt über dem großen Balkan. Eine unwegsame, steinige Passstraße zwischen Bulgarien und Ost-Rumänien, 1334 Meter hoch, liegt im Brennpunkt beider Fronten: der Schipkapass.

Ein Wandrelief in der Gießener Gaststätte, deren ursprünglicher Name im Dunkeln liegt, erklärt die Herkunft des eigenartigen Namens, wirft aber dadurch bis heute ungeklärte Fragen auf.

1901 wurde der burgartige Eckbau anstelle des alten Fachwerkshauses, dessen Eingang zur Kaplansgasse wies, erbaut. Der Licher Brauereibesitzer Ihring war Bauherr. Ein Anbau aus klassizistischer Zeit entlang der Bahnhofstraße blieb bis heute erhalten. Von ihm aus wird die Gaststätte betreten. Der damalige Pächter, Theodor Lony, gehörte zu den Gießener Originalen, über die bis heute Anekdoten kursieren. Seiner Eigenartigkeit wegen hieß Lony bei seinen Gästen, zu denen auch der bekannte Maler Louis Frech gehörte, »Artlich«.

Der Artlich war schon in dem 1901 abgerissenen Fachwerkhaus der Wirt, als 1877 Suleiman Pascha vergeblich versuchte, mit seinen Truppen den Pass zu überwinden, und die russischen Verteidiger zusammen mit bulgarischen Freiwilligen unter General Gurko den Angriff abwehrten.

Dass aber wirklich die Erinnerung an eine lang währende, kriegerische Auseinandersetzung an einem fernen Kriegsschauplatz in Erinnerung gehalten werden sollte, kann man getrost bezweifeln.

Halbweltmilieu und Rotlichtviertel

Eher trifft eine der anderen Erklärungen zu: Kolportiert wird, dass die Kaplansgasse sehr eng und holprig gewesen sei. Außerdem sei dort, ebenso wie im benachbarten »Teufelslustgärtchen«, ein Treffpunkt der Halbwelt und das Gießener Rotlichtmilieu angesiedelt gewesen. Den Gefahren konnte man über den Schipkapass entkommen. Noch einleuchtender ist die Geschichte von den Marktbeschickern, die nach dem Ende des Wochenmarktes auf dem Weg zum Bahnhof den Schipkapass passieren mussten. Besonders im Winter konnten sie den Verlockungen von Rippchen mit Kraut und einem wärmenden Schnaps dort kaum widerstehen.

In den 80er-Jahren gründlich renoviert, ist der Schipkapass heute ein architektonisches Schmuckstück in der unteren Bahnhofstraße. Denkmalschützern ist allerdings die Farbwahl bei der Fassadengestaltung ein Dorn im Auge. Die Kaplansgasse hat inzwischen eine ebeneres Pflaster bekommen und anstelle des alte Rotlichtviertels steht dort seit Jahren ein Kaufhaus. Den Schipkapass belagern, wie die Reliefinschrift im Inneren richtig feststellte, wie schon immer nur friedfertige Zeitgenossen und Stammtischstrategen. Unter neuer Führung hat sich der Schipkapass zu einem Speiserestaurant mit afrikanischen Spezialitäten entwickelt und heißt »Mama Afrika«.

Aus dem prall gefüllten Topf der Einsendungen wurde Sascha Becker aus Fernwald gezogen. Er darf sich über einen Einkaufsgutschein freuen. Teil 3 des Sommerrätsels finden Sie in der Samstagausgabe des Anzeigers.

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