»Schweigt nicht!«

An über 200 Hochschulen weltweit wurde am Mittwoch gegen die Menschenrechtsverletzungen im Iran protestiert - auch in Gießen
Gießen . »Jin. Jiyan. Azadî - Frau. Leben. Freiheit«. Der Slogan derjenigen, die im Iran gegen die Menschenrechtsverletzungen des Regimes demonstrieren, hallte am gestrigen Mittwoch auch über den Universitätsplatz. Rund 150 Teilnehmer hatten sich hier der »Campus Rally for Iran« angeschlossen - so wie unzählige Hochschulangehörige weltweit. Aufgerufen zu der Aktion, an der über 200 Hochschulen teilgenommen haben, hatten die »Iranian scholars for liberty« (Iranische Hochschulangehörige für die Freiheit).
Während in Gießen demonstriert werde, »werden viele Studenten und Akademiker angegriffen, inhaftiert, entführt und an unbekannten Orten festgehalten«, sagte Abtin Afshar Ghotlie. Der 29-Jährige, der an der Justus-Liebig-Universität Jura studiert, kritisierte in seiner Rede das gewaltsame Vorgehen der Behörden im Iran. Friedliche Demonstrationen würden brutal unterdrückt, mehr als 400 Menschen seien getötet worden, darunter 63 Kinder.
»Systematische Unterdrückung«
Der Slogan »Frau. Leben. Freiheit« bringe die »systematische Unterdrückung der Rechte der Frauen und aller Minderheiten im Iran auf den Punkt«. Studierende und Schüler hätten sich »im ganzen Land an die Spitze der Revolution gestellt, indem sie protestierten, dem Unterricht fernbleiben und Erklärungen verfassten, um Gerechtigkeit für politische Gefangene und Opfer zu fordern«. Die Antwort der Sicherheitskräfte des Regimes darauf seien Razzien auf dem Campus, in der Schule und im Wohnheim, wobei etliche junge Menschen angegriffen und verletzt worden seien. Auch sei Studierenden der Zugang zur Universität verwehrt und Hochschulbeschäftigte seien entlassen worden.
Astrid Eibelshäuser (SPD) war für den Magistrat vor Ort. »Wir verurteilen das Handeln des iranischen Regimes und solidarisieren uns mit denen, die für ihre Rechte demonstrieren«, sagte die Stadträtin. Die gewaltsamen Antworten der Sicherheitskräfte seien kein Einzelfall, sondern »Alltag für die Frauen«. Die Demonstrierenden wehrten sich gegen ein »System, in dem Frauen nicht als gleichwertige Menschen anerkannt werden«. Gerade die Hochschulen seien immer härteren Repressionen ausgesetzt.
In Gießen leben laut der Stadträtin derzeit rund 500 Menschen mit iranischer Staatsbürgerschaft, etwa 80 studieren hier. Diese Gießener und Gießenerinnen seien »in großer Sorge« um ihre Familien und Freunde im Iran.
Dass sich manch einer mit iranischen Wurzeln auch in Gießen nicht rundum sicher fühlt, war auch während der Demonstration zu merken. Jura-Student Abtin Afshar Ghotlie bat die Anwesenden, keine Fotos oder Videos der Referenten zu machen und online zu stellen - zu groß ist die Sorge vor negativen Folgen bei einer Wiedereinreise in den Iran.
Die Demonstrierenden forderten unter anderem die Verurteilung der Angriffe auf die akademische Gemeinschaft im Iran sowie den Boykott iranischer Universitätsbeamter und Akademiker, die die Gewalt des Regimes unterstützen. Um gefährdete oder im Exil lebende iranische Wissenschaftler zu unterstützen, sollten etwa Stipendien geschaffen, Bewerbungsverfahren vereinfacht und Studiengebühren erlassen werden. Mit Blick auf die Vereinten Nationen forderten sie »höchstmöglichen internationalen Druck«, um das Regime »für seine Verbrechen und für die Verletzung von Menschenrechten zur Rechenschaft zu ziehen«. Alle Menschen, die aufgrund ihres Protests inhaftiert wurden, müssten bedingungs- und vorbehaltlos freigelassen werden.
An Seilen hatten die Organisatoren Zettel mit den Fotos und Namen derjenigen aufgehängt, die bei den Protesten im Iran getötet wurden. Ein Banner am Gehweg an der Ludwigstraße erinnerte an Mahsa Amini - der Tod der 22-Jährigen Mitte September markierte den Beginn der Proteste gegen die staatliche Gewalt und gegen die unzureichenden Frauenrechte im Iran.
Mahsa Amini »war nur ein Jahr jünger als ich«, sagte eine junge Frau. Sie habe »großen Respekt vor den Frauen im Iran, die jeden Morgen mit Bauchkrämpfen wach werden« und dafür kämpfen, »wie sie leben wollen«. Wenn das iranische Regime nicht besiegt werde, bedeute das nicht nur Terror für die Demonstrierenden, sondern Terror für die ganze Welt. »Schweigt nicht! Erzählt es euren Freunden«, forderte sie die Teilnehmer auf.
