Schwer vermittelbar

Das Tierheim Gießen ächzt unter der großen Zahl unüberlegt angeschaffter Hunde - und die Halter drohen den Tierschützern sogar
Gießen . »Dann fahr ich jetzt zum Förster und lasse den Hund erschießen.« Sätze wie diesen müssen sich die Vorsitzende des Gießener Tierschutzvereins, Astrid Paparone, und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anhören, wenn sie einen Hund nicht sofort aufnehmen können. Auch mit aussetzen, einschläfern oder im Wald anbinden, wurde schon gedroht. Schlimm fand Astrid Paparone auch den Satz »Wenn Sie den Hund nicht nehmen, sind Sie schuld, wenn das Kind gebissen wird.«
»Wir haben pro Woche mehrere Anfragen von Menschen, die ihre schwierigen Hunde bei uns abgeben wollen«, erzählt sie. Dass die Leute von weiter her kommen und zuvor schon andere Tierheime abgeklappert haben, sei keine Seltenheit. »Wenn wir können, nehmen wir die Hunde gerne auf, aber wir sind - zumindest was schwierige Hunde betrifft - an unsere Kapazitätsgrenzen gestoßen. »Trainer, erfahrene Hundebegleiter und Pfleger sind auch nicht unendlich verfügbar«, erklärt die Expertin. Man versuche, allen Tieren gerecht zu werden, »aber es braucht Zeit, sie zu therapieren. Nicht jeder Hund wird zum Labrador«. Bereits 2018 habe ein Hund das Tierheim pro Tag 20 Euro gekostet.
Langes Warten
Aktuell leben etwa 40 Hunde im Gießener Tierheim, mindestens zwölf sind als schwierig eingestuft. Zwei sind gar nicht vermittelbar. Zu den schwierigen Fällen zählen ein Staffordshire-Terrier sowie drei Herdenschutzhunde. Einer von ihnen ist »Sheila«. Der freundliche Kangal warte bereits seit eineinhalb Jahren auf ein neues Zuhause. »Ein Schäferhund konnte kürzlich an Mitarbeiter der Polizei in Mainz vermittelt werden. Wir hoffen, dass er dort den Eignungstest und den Gesundheitscheck besteht.«
Wie viel Platz letztendlich zur Verfügung steht, ist auch davon abhängig, ob die Hunde in Gruppen gehalten werden können. »Einige benötigen auch ein Einzelzimmer«, sagt Paparone. Die Zahl schwieriger Hunde steige seit Jahren. Die Schuld daran gibt die Vorsitzende vor allem Kleinanzeigenportalen im Internet. »Oftmals entscheiden sich Leute dort für das falsche Tier, nur weil dieses süß aussieht.« Die Folgen: Sie kommen nicht mit dem Tier klar und anstatt eine Hundeschule zu besuchen, reichen sie es weiter. »Solche Hunde werden leider oftmals zu Wanderpokalen.«
Oftmals würden sich gerade Leute, die keine Ahnung von Hunden hätten, die schwierigsten aussuchen. So wie die Familie mit einem dreijährigen Kind, die sich im Internet in einen Akita verliebt habe. »Die Frau war wieder schwanger und mit dem jungen Akita komplett überfordert. Der Hund ist absolut nichts für Anfänger, hier wurde nur nach dem Aussehen gekauft.« Glücklicherweise sei ein neuer Halter gefunden worden.
Corona habe die angespannte Situation noch verschärft. Hinzu käme die Erhöhung der Gebührenordnung für Tierärzte im vergangenen Jahr. Allein das bei Kaninchen etwa alle sechs Wochen anstehende Kürzen der Zähne sei erheblich teurer geworden. Aus diesem Grund hätte das Gießener Heim aktuell »Kaninchen ohne Ende«. Ein weiteres Problem sei, dass die Harald Huppert Stiftung, welche die klinische Versorgung von Tieren, deren Halter wirtschaftlich hilfsbedürftig sind, unterstützt, voraussichtlich auslaufen werde.
Astrid Paparone sieht auch nicht ein, Hunde, die von anderen Tierschutzorganisationen nach Deutschland geholt wurden, und mit denen die neuen Halter nicht klarkommen, aufzunehmen: »Wir sind ein privates Tierheim, kein städtisches.« Bis vor wenigen Jahren habe man kostenlos aufgenommen. Dies sei nur noch in finanziellen Notfällen möglich. Auch Ordnungs- oder Veterinäramt müssen für Abgabetiere einen Tagessatz bezahlen. Möglich sei auch, eine Patenschaft für ein Abgabetier zu übernehmen und das Tierheim auf diese Weise zu unterstützen. Aktuell stünden zehn Hunde auf der Warteliste für einen Platz im Tierheim.
Wer sich einen Hund zulege, müsse auch an Kosten für Versicherung und Steuer denken. Letztere variieren von Gemeinde zu Gemeinde. Listenhunde kosten mehr. So zahlt man beispielsweise in Biebertal 1000 Euro pro Jahr für einen Listenhund, »normale« Hunde liegen bei 50 Euro. In Allendorf/Lumda sind 200 Euro für einen Listenhund fällig, für alle anderen 64 Euro. In einigen Kommunen ist ein Tierheimhund im ersten Jahr steuerfrei.
Seit Dezember könnten gefährlich gewordene Hunde, nachdem sie drei Jahre unauffällig waren und der Besitzer einen positiven Wesenstest nachweisen könne, als »normale« Hunde eingestuft werden. Durch eine Begleithundeprüfung, die alle zwei Jahre wiederholt werden müsse, könnten Listenhunde von der Erlaubnispflicht befreit werden. »Das ist eine gute Möglichkeit von den hohen Steuern runterzukommen«, so die Vorsitzende, die sich für einen Hundeführerschein für alle Halter stark macht.
Für Astrid Paparone kennt der Tierschutz keine Grenzen. »Wir nehmen zwar Hunde aus unserem spanischen Partnertierheim in Taragona auf, diese Tiere nehmen aber den Hunden bei uns keinen Platz weg.« Mit ihnen versuche man, mehr Besucher ins Tierheim zu locken und neue Mitglieder zu gewinnen. Lange Zeit habe man fast keine normalen, vermittlungsfähigen Hunde im Tierheim gehabt. Die Vierbeiner aus Spanien seien leicht vermittelbar und bräuchten dringend ein neues Zuhause. »Wichtig ist aber auch hier, daran zu denken, dass man ein Leben lang Verantwortung für ein Tier übernimmt.«