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»Sehr, sehr hohe Wahrscheinlichkeit«

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Von: Ingo Berghöfer

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Hier am Landgericht Gießen ging der Prozess um einen Mord in der Hindemithstraße weiter. Archivfoto: Mosel © Red

Gießen . Nur wenig neue Erkenntnisse im Mordprozess Hindemithstraße brachten die Aussagen von Polizisten, die das überlebende Opfer des tödlichen Überfalls auf einen Drogendealer kurz nach der Tat vor Ort und später im Krankenhaus vernommen hatten. Umso belastender waren die Aussagen von zwei Polizeiexperten, die zum einen die Handys der Tatverdächtigen ausgewertet haben und zum anderen DNA- Spuren untersuchten.

Zunächst aber berichtete ein Polizist von seinem kurzen Gespräch mit dem mittlerweile an einer Krebserkrankung verstorbenen Überlebenden kurz nach der Tat. Der Mann habe unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden und sich nur schemenhaft erinnern können. Er habe ihm nur gesagt, dass er und sein Freund von zwei Russen überfallen worden seien, deren Namen er nicht kenne. Einer sei kleiner gewesen als der andere. Der zu diesem Zeitpunkt noch nicht medizinisch versorgte Mann habe dabei blutverschmiert im Flur gestanden und ziemlich mitgenommen ausgesehen.

Anschließend schilderte ein Kollege die Erstvernehmung des Opfers später im Krankenhaus auf der neurologischen Intensivstation. Der Mann habe sich aufgrund seiner Verletzungen aber auch wegen seines Alkoholkonsums in einem kritischen Zustand befunden und deshalb nur kurz befragt werden können.

Weil er die eigene Wohnung verloren hatte, habe er zum Tatzeitpunkt bei seinem Freund in dessen Ein-Zimmer-Apartment gelebt. Am Tattag hätten beide ein bis zwei Flaschen Wodka und ein halbes bis ein Gramm Heroin konsumiert. »Das war die übliche Tagesmenge« habe er zu ihm gesagt.

Von der Vorsitzenden Richterin Regine Enders-Kunze befragt, wie er auf einer Skala zwischen »null wie nüchtern« und »zehn wie Koma« den Tatzeugen einschätzen würde, gab der Polizist dessen Zustand mit acht an.

Er habe auch noch ausgesagt, dass in der Wohnung eigentlich nichts zu holen gewesen sei. Den Besitz von Geld oder Betäubungsmitteln habe er verneint. Sonst wisse er nur, dass »der Große« ihn geschlagen habe. Kurz darauf habe der Arzt das Gespräch abgebrochen, weil die Werte des Patienten sich verschlechtert hätten. »Mehr war von ihm in dieser Nacht nicht zu holen«, sagte der Polizist. Den Tatort in der Hindemithstraße bezeichnete er als »mit das schlimmste Haus in Gießen«.

Später Pizza bestellt

Anschließend wurde ein Experte der Polizei befragt, der die IT-Gerätschaften der Opfer und mutmaßlichen Täter ausgewertet hat. Während auf den Handys des Getöteten und seines Freundes keine tatrelevante Kommunikation entdeckt wurde, war der Experte bei den Tatverdächtigen fündig geworden. Eine der beiden Hauptverdächtigen hat sich mit dem anderen über den Facebook-Messengerdienst ausgetauscht, diese Kommunikation aber teilweise gelöscht. Allerdings sei es den Polizeiexperten gelungen, diese zum Teil wiederherzustellen und auch die Sprachnachrichten zu rekonstruieren.

Angesichts deren Inhalts konnte sich auch die sich ansonsten sehr zurückhaltende Enders-Kunze nicht verkneifen, ausnahmsweise einmal laut zu denken: »Da fehlen einem die Worte, wenn wenige Stunden nach so einer Tat, einfach Pizza bestellt wird.«

Stark belastet wurden die Hauptangeklagten vom letzten Zeugen an diesem Verhandlungstag, der die am Tatort und bei den Tatverdächtigen genommenen DNA-Spuren ausgewertet hatte.

In einem mehrstufigen Verfahren seien Blut, Speichel und Hautabreibungen unter anderem mit Hilfe immunologischer Kassettentests (»Das kennen Sie alle von Corona.«) untersucht worden. Insgesamt habe er 162 Spuren gesichert und ausgewertet, die in der Tatortwohnung hauptsächlich von den Geschädigten stammten. Allerdings haben man dort auch Spuren der beiden Hauptverdächtigen gefunden und unter den Fingernägeln eines Angeklagten Spuren des Opfers. Auf den Fesselungswerkzeugen habe er zudem DNA-Spuren zweier Zeugen gefunden, was sich mit deren Aussagen deckt. Beide hatten angegeben, den Verletzten und den Getöteten von ihren Fesseln befreit zu haben.

Auf dem Gummihammer, mit dem sich der Getötete noch gewehrt haben soll, konnten nur dessen eigene Spuren entdeckt werden. An den Beutestücken, die bei den Verdächtigen gefunden wurden - zwei Handys, ein Jagdmesser mit Hülle, eine Walther P 99 Schreckschusspistole und ein Multitool -, wurden ebenfalls DNA-Spuren beider Täter sichergestellt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Spuren tatsächlich von den Angeklagten stammen, sei »sehr, sehr hoch«, meinte der Experte. Die Chance, dass dies eine Fehldiagnose sei oder die Spuren von genetischen Zwillingen der Angeklagten stammten, sei geringer als 1 zu 30 Milliarden.

Am nächsten Verhandlungstag kommt noch ein Zeuge zu Wort, auf dessen Aussage Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger sehr gespannt sein dürfte. Der will nämlich den dritten Tatverdächtigen direkt vor der Wohnung, in der die Bluttat stattfand, gesehen haben. Dieser Verdächtige habe ihn auch von dort weggeschickt. Das steht im Widerspruch zu dessen Aussage, draußen Schmiere gestanden und von der Gewalttat nichts mitbekommen zu haben und würde dessen Tatbeteiligung in ein anderes und für ihn weniger vorteilhaftes Licht rücken.

Die Vernehmung dreier weiterer Zeugen aus dem Umfeld der Täter hat sich laut Regine Enders-Kunze erübrigt, da zwei von ihnen mittlerweile aus Deutschland abgeschoben worden sind und der dritte von dessen Gemeinschaftsunterkunft als »illegal abwesend« gemeldet worden ist.

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