Seit 300 Jahren Ort der Gastlichkeit

Wo schon Goethe weilte und Stadtpolitik gemacht wurde: Das traditionsreiche Gießener Gasthaus «Zum Löwen« war in der ersten Folge unseres Sommerrätsels gesucht.
Gießen. Viele Leser haben das Gasthaus, nach dem wir in der ersten Folge unseres Sommerrätsels suchten, erkannt. Das Gasthaus »Zum Löwen« im Neuenweg ist nicht nur eins der wenigen erhaltenen Fachwerkhäuser in der Innenstadt, sondern auch seit mehr als 300 Jahren ein beliebter Ort der Geselligkeit und Gastlichkeit.
Der langgezogene dreigeschossige Bau mit Krüppelwalmdach wurde in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts erbaut. Vermutlich war das Gebäude zunächst als Postmeisterei errichtet worden, in alten Chroniken wird es aber bereits im 17. Jahrhundert als beliebter Professoren- und Studententreff beschrieben. Der Löwe über dem Eingang ist vermutlich dem hessischen Landeswappen nachempfunden.
Fahrender Student
Am 18. August 1772 wanderte Johann Wolfgang von Goethe, verkleidet als fahrender Student, zu Professor Julius Höpfner in Gießen. Höpfner wohnte in der Neuen Bäue/Ecke Sonnenstraße und glaubte, der unbekannte Student wolle Geld erbitten. Immer aber, wenn Höpfner Goethe etwas geben wollte, wich der zurück und wehrte Höpfner ab. Nachdem Goethe sich verabschiedet hatte, ging er in den nahe gelegenen Löwen und traf sich mit seinem Freund Johann Heinrich Merck und Heinrich Georg Schlosser, seinem späteren Schwager. Beim gemeinsamen Speisen besprachen die drei die Gründung der »Frankfurter Gelehrten Anzeigen«, einer Literaturzeitschrift, für die die drei noch einige Jahre arbeiten sollten. Als Höpfner ebenfalls in den Löwen zum Essen kam, war er überrascht, den unbekannten Studenten zu erblicken. Merck und Schlosser lösten das Rätsel für ihn auf.
In den wenigen Monaten, die Goethe noch in Wetzlar am Reichskammergericht blieb, besuchte der Dichter den Löwen noch öfter und übernachtete dort, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte. Auch Goethes Vater Johann Caspar, der in Gießen studiert hatte, kannte das Gasthaus noch aus seiner Studienzeit und war ein Freund Höpfners.
»Gewirre häi«
1884 wurde das Erdgeschoss durch Rundbogenfenster und die beiden Rundbogentüren markant umgestaltet. Im angebauten Saal veranstaltete der Gießener Konzertverein häufig klassische Konzerte und viele Jahre war der Löwe das Stammlokal der Studentenverbindung Teutonia. Nachdem in der Bombennacht 1944 der »Lotzekasten« im Seltersweg zerstört worden war, siedelte der Bürgerstammtisch »Gewirre häi« in den Löwen über.
»Gewirre häi« war über viele Jahre eine Honoratiorenrunde, in der nach Aussage der Kritiker die Stadtpolitik »gemacht« wurde. Was die wohlhabenden Bürger hier besprochen hatten, sei dann von den Kommunalpolitikern im Stadtparlament umgesetzt worden, munkelte man.
Vor über 50 Jahren übernahmen Luca Bortoli und Luigi Laurito das Restaurant und boten den Gästen italienische Küche. 2005 übernahmen Denis Gasparin und Sabato Laurito das Restaurant, in dem beide bereits seit Jahrzehnten arbeiteten. Am 1. Januar 2021 übergaben die beiden das Restaurant Antonio Viterale, der vor 25 Jahren aus Kampanien nach Deutschland kam, um im Löwen zu arbeiten.
Aus den vielen richtigen Einsendungen wurde Constanze Neurath aus Gießen als Gewinnerin gezogen. Sie darf sich über einen Einkaufsgutschein freuen. Sie hatten kein Glück? Dann versuchen Sie es erneut beim zweiten Teil des Sommerrätsels in der Samstagsausgabe.