»Senioren brauchen unsere Nähe«

Gießen (jpa). Für die Bewohner des Seniorenheims Johannesstift ist und war die Pandemie mit erheblichen Einschränkungen verbunden. Insbesondere Besuche und die Kontakte untereinander mussten zur Sicherheit reguliert werden. Die Einrichtungsleiterin Christa Hofmann-Bremer berichtete im Seniorenbeirat über die Situation.
Anfangs wusste noch niemand so recht, dass Corona ein Dauerzustand mit zunehmenden Auflagen werden würde. Die Veränderungen kamen schrittweise. Eine der einschneidendsten Einschränkungen habe es bei den Besuchsmöglichkeiten gegeben. Kinder, Enkel und Freunde mussten zuhause bleiben, pro Bewohner waren nur wenige Besucher möglich. Hofmann-Bremer erläuterte, dass die Einsamkeit Gefühle von Verlassensein und Depressionen begünstige. Manche Treffen fanden heimlich statt. Ein Ehepaar war beim Besuch durch eine Glasscheibe getrennt. Die beiden legten ihre Hand auf gleicher Höhe an die Scheibe. Die Leiterin betonte, dass Besuche stets gesichert waren, wenn sich ein Bewohner in einer »kritischen Lebenssituation« befand.
Im Heim war es wichtig, Infektionen zu vermeiden. So wurden Masken getragen, die Bewohner nach Gruppen getrennt und Einzel- statt Gruppenaktivitäten angeboten. Bis heute gibt es keine Feiern, bei denen normalerweise über 100 Bewohner zusammenkommen würden. Sie werden mehrfach angeboten, was jedoch für das Personal mehr Aufwand bedeute.
Für ein alternatives Corona-Programm griffen die Mitarbeiter zudem auf die hauseigene Übertragungsanlage zurück. Über diese konnten die Bewohner unter anderem Musik oder Lesungen lauschen.
Schwierig war es bei der Einschränkung von Körperkontakt. »Ich sage immer, wir sind sogenannte Berufsberührer«, erklärt Hofmann-Bremer. »Senoren brauchen unsere Nähe.« Es sei schwer, etwa auf das Händeschütteln zum Geburtstag zu verzichten. Nun sind die Beschränkungen entschärft, Empfehlungen haben Gesetze und Verordnungen abgelöst. Was geblieben ist, sei das schlechte Gewissen bei körperlicher Nähe, berichtete Hofmann-Bremer. Für Besucher seien nach wie vor ein Test sowie das Tragen einer Maske verpflichtend. Die Einschränkungen hätten sich auf die Bewohner unterschiedlich ausgewirkt. Demente Patienten könnten beispielsweise eine Stimme aus einem Lautsprecher nicht zuordnen. Mit ihnen kommuniziere man mit Blicken oder Berührungen. Masken zu tragen, sei für Demenzkranke »nicht zumutbar«. Deshalb habe es auch Konflikte im Heim gegeben. Anfangs sei auch auf die Heimleitung geschimpft worden, weil der Speisesaal geschlossen wurde.
Von außerhalb fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. So habe es Anteilnahme gegeben, »die unglaublich wohltuend« für das Personal gewesen sei, schilderte Hofmann-Bremer. So hatten mehrere Musiker im Außenbereich des Seniorenheims gespielt. Schüler der August-Hermann-Francke-Privatschule stellten Geschenke vor der Tür ab.
Es habe jedoch auch Kritik an den Maßnahmen des Heims gegeben. Hofmann-Bremer erklärte, dass die Entscheidungen der Heimleitung bei Inzidenzen um 800 oder 900 jedoch keinen Einfluss mehr auf das Infektionsgeschehen gehabt hätten.
Diverse Bewohner starben, unter den Mitarbeitern habe es allerdings keine Toten und auch keine schweren Verläufe gegeben. Brenzlig sei es allein im Winter 2020 geworden, als kurzfristig auf einen externen Dienstleister zurückgegriffen wurde, um Personalausfälle zu kompensieren - zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Johannesstifts.
Christa Hofmann-Bremer bekundete, dass sie sich insgesamt mehr Koordination gewünscht hätte. »Ich habe da sehr diesen einheitlichen, gemeinsamen Weg vermisst«, erklärte die Leiterin in Anbetracht ähnlicher Strukturen und Problemlagen in anderen Seniorenheimen.