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Sie diskutieren immer noch

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Soll Ria Deeg ebenfalls mit einem »Gießener Kopf« geehrt werden? Die Meinungen gehen auseinander. Archivfoto: Docter © Frank-Oliver Docter

Die politische Debatte um die Ehrung von Widerstandskämpferin Ria Deeg in Gießen hält weiterhin an. Selbst Koalitionspartner sind sich hier uneins.

Gießen. Im vergangenen Dezember steht - wieder mal - die Ehrung von Ria Deeg mit einem »Gießener Kopf« zur Debatte. Eine Entscheidung? Nein! Der Ausschuss für Schule, Bildung und Kultur diskutiert bloß ein zeithistorisches Gutachten zu der Gießenerin. Trotzdem schlagen die Wellen richtig hoch. Selbst zwischen den Partnern von Grünen und SPD. Und die Debatte ist längst nicht vorbei. Denn in der Januar-Ausgabe des »Gießener Echos. Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei Gießen« legt die DKP nach. »Die Ehrung mit einer Stele in der Plockstraße, wo bereits anderer Antifaschistinnen gedacht wird, ließen CDU, FDP und der eigene Koalitionspartner, die Grünen, nicht zu«, heißt es im Aufmacher des Blattes. »Wir sind innerhalb der Koalition weiter im Beratungs- und Diskussionsprozess darüber, wie eine angemessene Erinnerung an den Widerstand von Ria Deeg gegen die faschistische Diktatur und ihr Engagement darüber hinaus aussehen kann«, übermittelt Fraktionsvorsitzender Alexander Wright von den Grünen die Position der Koalition. CDU und FDP lehnen die Ehrung ab.

»Noch breiter diskutieren«

Die Position des Oberbürgermeisters ist klar. »Man sollte sich mit dem Gutachten wirklich auseinandersetzen und wird dann entdecken, dass ein differenzierter Blick helfen kann, eigene Vorurteile ein Stück weit zu relativieren. Die Frage, wie wir diese historische Persönlichkeit mit ihren Verdiensten und Brüchen bewerten, ist es auf jeden Fall wert, noch breiter diskutiert zu werden«, erklärt Frank-Tilo Becher. Erika Beltz, Verfasserin des zentralen Artikels im »Gießener Echo«, erinnert daran, dass Oberbürgermeister Manfred Mutz die im Jahr 2000 verstorbene Deeg 1987 mit der Goldenen Ehrennadel ausgezeichnet hat.

Diese Ehrung habe die Stadtverordnetenversammlung einstimmig beschlossen. Vertreter aller Parteien hätten die »mutige und konsequente Antifaschistin« seinerzeit geehrt. Warum sich das geändert habe, fragt sich die Autorin. Die Antwort erkennt sie in einer aus ihrer Sicht veränderten Haltung der Grünen zum Krieg: »Heute würde Ria Deeg mit am schärfsten gegen diese Kriegstreiber auftreten, folgerichtig lehnen auch die Grünen ihre Ehrung strikt ab.«

Es habe in Gießen keine andere Antifaschistin gegeben, die »sich mehr Verdienste im Kampf gegen den Faschismus erworben hat und dafür ins Zuchthaus gesperrt wurde, als Ria Deeg.«, schreibt DKP-Stadtverordnete Martina Lennartz in »Unsere Zeit, Sozialistische Wochenzeitung der DKP« vom 14. Januar. Hunderte Gießener Schüler, die Deeg als Zeitzeugin erlebt hätten, könnten dies bestätigen. Es sei immer wieder unfassbar, welche Maßstäbe für die Anerkennung von Widerstand gegen den Faschismus und für Ehrungen in Deutschland angewendet würden. »Es ist zu beobachten, dass es schwierig bis unmöglich scheint, Kommunisten würdevolle und verdiente Ehrungen - vor allem im Kampf gegen den Faschismus - zu verleihen, so, als wäre unser Widerstand weniger wert«, meint Lennartz.

»Stellen, die an Militarismus und Nazizeit erinnern«

Im Artikel »Erinnerungskultur in Gießen - ein Trauerspiel« nimmt Gernot Linhart in derselben Ausgabe des »Gießener Echos« Beispiele in den Blick. »In der Stadt gibt es mehrere Stellen, die an Militarismus und Nazizeit erinnern. An der Mauer der ehemaligen Bergkaserne befindet sich ein aufwendig restauriertes Relief, das die Blut- und Boden-Ideologie des ›Dritten Reiches‹ verherrlicht - ein Informationstäfelchen kann das nur wenig relativieren. An der Licher Gabel erinnert ein unsägliches Denkmal an das aus fanatischen Nazis bestehende Bombergeschwader Greif. Der darüber schwebende Raubvogel wurde zum Glück von beherzten Gießenern vom Sockel geholt. Eine nachträglich aufgestellte trauernde Fliegerwitwe macht das Ganze nicht besser - der Bombenopfer wird nicht gedacht«, argumentiert Linhart.

Straßen seien nach Militaristen und Reaktionären benannt. Und »nach Nazis benannte Einrichtungen wie Otto-Eger-Heim und Friedrich-Feld-Schule wurden erst nach langen Protesten umbenannt. Die die Stadt regierenden Parteien wurden von sich aus nie aktiv«. Für Nazi-Opfer gebe es Stolpersteine, aber »fast nur für rassisch Verfolgte. Einen Stein für den kommunistischen Widerstandskämpfer Hans Rosenbaum mussten Erika und Michael Beltz erkämpfen. Was man vergeblich sucht, ist eine Erinnerung an aktiven Widerstand gegen den Faschismus, den es durchaus gab«, führt Linhart aus.

In der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Osthofen werde an Häftlinge aus Gießen und Umgebung erinnert - hier seien deren Namen vergessen. »Beispielhaft für diesen Widerstand waren Ria und Walter Deeg. Es stände der Stadt gut an, das Ensemble der drei bürgerlichen Nazi-Verfolgten (Agnes von Zahn-Harnack, Margarete Bieber, emigriert 1933, und Hedwig Burgheim, in Auschwitz ermordet 1943) in der Plockstraße durch Ria Deeg, eine aktive Widerstandskämpferin aus der Arbeiterklasse, zu ergänzen«, resümiert der Autor.

Wright macht auf den Koalitionsvertrag von Grünen, SPD und »Gießener Linke« aufmerksam. »Dort haben wir festgehalten, dass wir uns für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte unserer Stadt einsetzen, insbesondere für die Erinnerung an die Opfer von Faschismus und Rassismus«, so der Fraktionsvorsitzende der Grünen. Daher wollten die Partner die Umbenennung aller Straßen und Gebäude, die Personen ehren, die in faschistischen Parteien und Bewegungen aktiv waren.

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