So sprechen die Dörfer

Marburg . Auch das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas ist beim Marburger Stadtgeburtstag dabei: Mit einem Team von Studierenden locken sie Dialektsprecherinnen und Dialektsprecher aus Marburgs Dörfern. Daraus wird eine multimediale Ausstellung.
Wenn es »tretscht« und »schickt«, versteht das im Marburger Raum fast jeder. Dann regnet es wie aus Eimern oder es reicht einfach. Aber für die aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Schwaben stammenden Studierenden, die nach den Begriffen fragen, waren die Worte neu. Und die Gote (Patentante), den Mattekuchen (Käsekuchen) und den Dappes (Tolpatsch) kannten sie auch nicht. Die jungen Leute um Projektleiterin Dr. Brigitte Ganswindt sind der regionalen Sprache auf der Spur.
Dafür haben sie sich zusammen mit dem »Kulturnetzwerk Fotografie Marburg« ein besonderes Projekt ausgedacht, das Fotografie und Sprache verbindet. Begleitend zum Fotobus, der im ganzen Sommer durch Marburgs Dörfer reist, kommen auch die Studierenden in einige der ländlichen Stadtteile. Sie bitten die Menschen vor Ort darum, mit einem Foto zum Bus zu kommen und dort die Geschichte zum Bild auf Platt oder der regionalen Umgangssprache zu erzählen. Bislang stößt das Projekt auf sehr große Resonanz, freut sich Ganswindt.
Anneliese Scheld und Erna Gerlach zum Beispiel brachten Fotos von ihrer Einschulung. Im Bortshäuser Dialekt schilderten sie, wie es damals in der Schule zuging, dass alle vier Grundschulklassen gemeinsam unterrichtet wurden und wie der Schulhof aussah. Die Geschichte der »Kirze«, also der Kerze, »verzähnt« Carmen Schwarz aus Schröck. Und von der Dreschmaschine hört man im Bortshäuser Dialekt.
Dialekt rund um Marburg verbreitet
»In der älteren Generation sprechen die meisten Dialekt, wenn sie aus den Dörfern rund um Marburg kommen«, weiß Projektleiterin Ganswindt, die den Bereich Dokumentation und Wissenstransfer beim Deutschen Sprachatlas leitet. Das Forschungszentrum ist die weltweit älteste Einrichtung seiner Art. Heute werden dort vor allem die modernen Regionalsprachen untersucht. Denn auch Menschen, die den traditionellen Dialekt nicht mehr können, sprechen meist eine regional gefärbte Sprache. »Viele verwenden im Alltag noch viele dialektale Begriffe, ohne sich dessen bewusst zu sein«, so Ganswindt. Deswegen können sich auch die Jüngeren bei einem Fragebogen zum regionalen Wortschatz einbringen. Da fragt das Team etwa danach, ob typisch hessische Begriffe wie »es schickt« noch in allen Generationen verwendet werden. Und dazu gibt es noch ein Dialekt-Quiz, bei dem geraten werden kann, aus welcher Region die Sprecherinnen und Sprecher stammen.
Die Studierenden finden die Geschichten der Besucher spannend. »Es ist schön, mit den älteren Menschen ins Gespräch zu kommen«, sagt die 19-jährige Fenna Suhrkamp, die ein Freiwilliges Soziales Jahr im Sprachatlas absolviert. Zugleich lernen die jungen Leute dabei viel über Ausstellungspräsentation und Organisation.
In den kommenden Monaten werden sie die Ton-Aufnahmen der Foto-Geschichten ins Hochdeutsche übersetzen und für die multimediale Ausstellung vorbereiten, die voraussichtlich vom 12. bis zum 20. Oktober im Sprachatlas zu sehen sein wird. Daraus wird im Anschluss eine digitale Präsentation, damit der Inhalt auch in Zukunft zugänglich bleibt.
Der Fotobus ist eines der größeren Projekte des Stadtjubiläums Marburg 800. Noch bis Oktober macht er unter Federführung der Marburger Foto-Community und des Vereins Kulturnetzwerk Fotografie Marburg in jedem Stadtteil Marburgs für acht bis zehn Tage Station.
Vor Ort können sich die Menschen aus den Dörfern mit eigenen Fotoprojekten verwirklichen und unterschiedliche Aktionen anbieten. Dazu gehören auch kostümierte Fotoshootings, Fotorätsel, Dokumentationen und die Dialekt-Geschichten. So werden die Sprachforscher am 14. Juli in der Zeit von 15 bis 17 Uhr nach Haddamshausen kommen, am 4. Oktober von 15 bis 17 Uhr nach Ginseldorf. Ohne die Dialektforscher reist der Fotobus nach Cyriaxweimar und Hermershaus (9. bis 18. Juli), zum Richtsberg (22. Juli bis 1. August), nach Gisselberg (2. bis 11. August), Weidenhausen (12. bis 21. August), Dilschhausen (22. bis 31. August), Michelbach (1. bis 11. September), Wehrda (12. bis 20. September), Ronhausen (21. bis 30. September) und Ginseldorf (1. bis 10. Oktober).