1. Startseite
  2. Stadt Gießen

Stimmung wie in Belleville

Erstellt: Aktualisiert:

gikult_1-belleville-bell_4c_1
Wunderbare Einblicke in das Leben des Pariser Cafés Le Vieux Belleville gab Regisseurin Daniela Abke (unten) bei ihrem Besuch im Licher Kino Traumstern. Fotos: Coccinelle Films, Schultz © Coccinelle Films, Schultz

Regisseurin Daniela Abke brachte ihre neue Filmdoku mit in das Kino Traumstern nach Lich. Und das besondere Pariser Lebensgefühl.

Lich. Eine gänzlich ungewöhnliche Matinee im Traumstern-Kino: Daniela Abke stellte ihre herausragende Dokumentation »Belleville. Belle et Rebelle« vor. Die Regisseurin hatte drei Protagonisten mitgebracht, anschließend gab es ein angeregtes Publikumsgespräch, und am Ende trafen sich alle im Foyer mit einem Sänger und einer Akkordeonspielerin, die zuvor im Film zu sehen waren, zu einem schwungvollen Gemeinschaftssingen.

Abke beschreibt das Pariser Emigrantenviertel Belleville mit sorgfältigem Blick. Ihre Kamerafrau Isabelle Casez hat das alte Viertel herausragend in Schwarzweiß fotografiert, geruhsam, liebevoll und mit Sinn für die architektonischen Details. Das Resultat ist eine ästhetische, unverkitschte Optik.

Im Café le Vieux Belleville treffen sich alle möglichen Menschen, Patron Joseph ist ein lebendiger Charakter, wenngleich nicht so schillernd wie etwa Lucio Urtubia, ein Ex-Freiheitskämpfer. Der alte Herr kehrt morgens auf einen Kaffee ein und ist sofort in ein Gespräch verwickelt. Überhaupt reden in diesem Café und anscheinend auch im Viertel alle miteinander. Die Gäste sind so vielseitig, wie man sich das nur vorstellen kann: ein schottischer Maler namens Steven, Robert Bober, Schriftsteller und Filmemacher sowie einst Regieassistent von Francois Truffaut, außerdem ein  ehemaliger Strafvollzugsrichter.

An den Wänden zeigen sich Szenen des alten, fast wie aus der Zeit gefallenen Viertels, die der Schotte gemalt hat. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt dieses Films. Abends beginnt man zu singen – Lucio stimmt öfters ein altes Chanson an, nicht selten singt dann das ganze Lokal Lieder von Édith Piaf. In den Gesprächen der Leute entstehen alte Zeiten und Geschichten fast sichtbar wieder auf, die Stimmung ist entspannt. Einmal in der Woche tritt Sänger Riton la Manivelle, ein Mann mit riesigem Schnauzbart, mit seiner Drehorgel auf, und Chansonniere Minelle singt am Wochenende zum Akkordeon.

Das ist alles mit einer faszinierenden Natürlichkeit gefilmt, die Kamera schwimmt förmlich zwischen den Menschen umher, niemand wirkt irritiert oder gestört. Der Betrachter fühlt sich als einer der Menschen in der Kneipe und willkommener Mithörer der Gespräche.

Der herausragende Film überzeugt in der Darstellung der Kneipe und des Viertels als Schnittpunkt von Schicksalen, historischen und kulturellen Standpunkten und Entwicklungen und der in Frankreich lebendigen Kultur des Chanson.

Die in dem Viertel lebende Daniela Abke, die in Begleitung von Joseph, dem Betreiber des Cafés, dem Sänger und Drehorgelspieler Riton la Manivelle (Sänger) und der Chansonsängerin und Akkordeonistin Minelle  in Lich zu Besuch war, erzählte anschließend, wie sie einmal zufällig in genau solch einen Abend geraten war. Nichts an ihrer Dokumentation sei inszeniert gewesen. »Es war lange beobachtet,« fügte sie hinzu, »und natürlich eine große Arbeit, vor allem im Schneideraum.« Patron Joseph warf ein: »Die Leute sind einfach so,« das Publikum habe sich seit 30 Jahren erhalten.

Das Geheimnis des Ortes? »Man lässt die Leute sie selbst sein«, beschreibt die Regisseurin. Sänger und Leierkastenspieler Riton de la Manivelle bekräftigte kurz und knapp: »Alles original.« Es ist ein Ort, an dem Poesie und Wirklichkeit sich fast unmerklich vermischen können. Der Unterschied zu Deutschland? »Die Franzosen können spontan Chansons singen.« Was sich in Lich widerlegen ließ. Auf das Angebot Abkes und ihrer Begleiter hin fanden sich zahlreiche Kinobesucher im Foyer ein – schließlich war es rappelvoll – und Riton und Minelle brauchten nur ein paar Sekunden, bis die Menschen im Kino mitsangen und tanzend mitschwangen. Gerade so wie in Paris im Café le Vieux Belleville.

»Belleville - Belle et Rebelle« ist noch einmal am heutigen Mittwoch um 18.45 Uhr im Kino Traumstern zu sehen.

Auch interessant