Streiken bis zur Entlastung

Trotz erster Annäherungen zwischen den Tarifpartnern bleibt das UKGM-Personal in Gießen und in Marburg im Ausstand
Gießen. »Herrje, wollen die jetzt auch mehr Geld?« Die ältere Dame am Bahnhofsvorplatz schüttelt verständnislos den Kopf angesichts des Pfeifkonzerts wenige Meter von ihr entfernt. Dort haben sich rund 550 Mitarbeiter des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) zu einer Protestkundgebung versammelt. Seit Montag bestreiken die Angehörigen des Pflegepersonals und der technischen Dienste das UKGM, um ihrer Forderung nach einem »Tarifvertrag Entlastung« Nachdruck zu verleihen.
Dabei geht es nicht um höhere Löhne, wie die ältere Dame mutmaßt, auch wenn die Klinikmitarbeiter die sicherlich in Zeiten hoher Inflation auch gut gebrauchen könnten, sondern um verlässliche Arbeitszeiten und den garantierten Freizeitausgleich für Überstunden.
»Nicht der Streik gefährdet das Patientenwohl, sondern völlig überarbeitetes Personal«, fasst das eine UKGM-Mitarbeiterin zusammen, die mit anderen Kollegen von der Bühne herab ihren Arbeitsalltag schildert. An diesem Freitagnachmittag bekommen das in Gießen nur wenige Menschen mit. Aber die einstündige Veranstaltung ist auch nur ein Aufwärmen für die eigentliche Großdemonstration. Die findet an diesem Tag in Marburg statt. Um 16.30 Uhr brechen die Streikenden auf, um mit der Bahn nach Norden zu fahren. In Marburg will man durch die Stadt zum Marktplatz ziehen, wo die Abschlusskundgebung stattfindet.
Musikalische Solidarität
Ob auch Gießen zum Schauplatz einer großen Demonstration werde, entscheide nicht Verdi, sondern der Arbeitgeber, meint Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm. Zur Stunde der Kundgebung dauerte die jüngste Verhandlungsrunde der Tarifpartner noch an. Dabei, so der Gewerkschafter, habe sich die Rhön-Klinikum AG erstmals auf die Arbeitnehmervertreter zubewegt, von einer Einigung sei man aber noch weit entfernt. Dennoch ist er sich sicher, dass der Arbeitgeber jetzt verstanden habe, dass ein Entlastungstarifvertrag kommen müsse. Den Streik werde man jedenfalls solange fortsetzen, bis Rhön einer substanziellen Entlastung der Arbeitnehmer zustimme. Das hört man auch immer wieder, wenn man Demonstrationsteilnehmer in der Menge fragt. »Wir waren viel zu lange viel zu geduldig«, meint eine junge Frau in Streikweste, die auf den Zug nach Marburg wartet.
Unterstützung erhält das Pflegepersonal auch von ihren Kollegen aus der Medizin, die selbst nicht im Ausstand sind. Die Solidaritätsadresse von Oberärztin Eva Janzen erhält besonders viel Beifall.
Auch der Singer/Songwriter Myller spielt einige seiner Songs, Pflegekräfte, die seine Musik mögen, hätten ihn angesprochen, verrät er nach seinem Kurz-Auftritt. Und er habe keine Sekunde überlegen müssen, nach Gießen zu kommen. »Das Pflegepersonal war schon vor Corona bis ans Limit belastet«, meint er. Der Pflegenotstand sei ein Riesenproblem, das jeden berühre, spätestens dann, wenn er selbst einmal als Patient auf die Hilfe der Ärzte und Pfleger im Krankenhaus angewiesen sei. Deshalb dürften sich die Streikenden auch nicht unterkriegen lassen.
Wie lange dieser Arbeitskampf noch dauern wird, darüber gehen die Meinungen auf der Demonstration auseinander. »Ich rechne damit, dass wir mindestens noch eine, vielleicht sogar zwei Wochen streiken müssen«, vermutet ein Teilnehmer. Die Einsicht, dass es so nicht mehr weitergehe, könne er beim Arbeitgeber zumindest noch nicht erkennen. »Nach unserem Ultimatum hatte er 100 Tage Zeit, sich zu bewegen - passiert ist aber gar nichts.«

