»Taubenschläge beste Lösung«
Die »Stadttaubeninitiative Mittelhessen« zeigt auf, wie in Gießen die Probleme mit den Tieren und ihrem Kot in den Griff zu bekommen sind. Vorbild dafür kann ein Projekt in der Nordstadt sein.
Gießen . Tauben haben nicht das allerbeste Image. Viele Menschen stören sich daran, dass die Vögel mitten in der Stadt leben, auf öffentlichen Plätzen nach Nahrung suchen und hier ihren Kot hinterlassen. Das ist auch in Gießen nicht anders. An Orten wie beispielsweise Marktplatz oder Katharinenplatz halten sich täglich größere Populationen auf, zeigen keinerlei Angst vor Passanten und Bussen und sind gerade wegen ihrer Hinterlassenschaften auf Sitzgelegenheiten, Tischen, Balkonen, Autos oder Kleidung ein enormes Ärgernis. Zumal der Taubenkot eine ätzende Wirkung haben kann. Eine aufwendige Zählung des erst letztes Jahr gegründeten Vereins »Columba Livia - Stadttaubeninitiative Mittelhessen« hat jüngst ergeben, dass innerhalb des Anlagenrings sowie am Bahnhof und rund um die beiden Lahnbrücken zusammengerechnet 846 Tauben zuhause sind. Das sind deutlich mehr als man in Marburg (540), Wetzlar (300) oder Butzbach (371) zählte. Gleichzeitig nennt Vereinsvorsitzende Dr. Silvia Kepsch im Gespräch mit dem Anzeiger Lösungsmöglichkeiten, mit denen den Menschen wie auch den Tauben geholfen wäre.
Krank durch falsche Ernährung
Denn den Tieren gehe es keineswegs so gut, wie mancher vermuten würde. »Die meisten sehen von außen fett und wohlgenährt aus. Wenn man aber unter das aufgeplusterte Gefieder schaut, merkt man, wie abgemagert viele sind. Und sitzt eine Taube ruhig da und geht nicht weg, wenn man auf sie zukommt, zeigt das, dass es ihr so richtig schlecht geht«, berichtet Kepsch von Beobachtungen, die sie und ihre Mitstreiter gemacht haben. Oftmals litten die Vögel wegen falscher Ernährung unter Durchfall, was an ihrem dünnflüssigen Kot zu erkennen sei. Der wiederum ist einer der Hauptgründe für Beschwerden. Würde man die Tauben hingegen mit für sie geeignetem Futter versorgen, wäre dieses Problem schon mal wesentlich kleiner.
Um zusätzlich die Tiere weitgehend aus dem Stadtbild herauszubekommen, hält Kepsch »betreute Taubenschläge« für »die beste Lösung«. Davon könnte man vier oder fünf quer über das Innenstadtgebiet verteilt und am Bahnhof einrichten. Dort ließen sich die Vögel mit Futter, Wasser und tierärztlich versorgen. Erfahrungen aus anderen Städten zeigten, dass solche Schläge von je 150 bis 300 Tauben genutzt werden. Da diese noch dazu »sehr standorttreu sind«, sei zu erwarten, dass sie sich die meiste Zeit des Tages über im Taubenschlag aufhalten.
Auch die Reduzierung der Population ist dort möglich: durch den Austausch gelegter Eier durch gleichgroße Attrappen aus Gips oder Kunststoff. Ein Taubenpaar könne zwar bis zu zwölf Nachkommen pro Jahr bekommen, »davon schaffen es aber nur etwa zehn Prozent ins adulte Alter«, erklärt Kepsch. Da sie aber das ganze Jahr über brüten, ist immer Nachwuchs möglich. Beim Austausch der Eier sollte jedoch beachtet werden, dass die Vögel »einen kleinen Teil davon weiter ausbrüten können«. Denn wie Untersuchungen zeigen, bleibt ein Taubenschlag nur dann als Unterkunft für die Vögel attraktiv, wenn dort auch einige Jungtiere zur Welt kommen. »Das ist für den Erfolg dieses Konzeptes elementar«, weiß die Vereinsvorsitzende.
Ein gutes Beispiel, wie es gelingen kann, das Tauben-Problem in den Griff zu bekommen, ist in der Konstantinbader Straße in der Nordstadt zu sehen. In einem der dortigen Häuser der Wohnbau wurde ein etwa 20 Quadratmeter großer Teil des Dachbodens zu einem Taubenschlag umfunktioniert. Dafür hat man eine zusätzliche Zwischenwand eingezogen und neben vielen Sitzmöglichkeiten an den Wänden auch 40 Nischen geschaffen, in denen die Tiere brüten können. Darüber hinaus wurde für eine Dämmung gesorgt, die verhindert, dass laute Geräusche oder unangenehme Gerüche die Nachbarn stören.
Das Wohnungsbauunternehmen hat sich das alles rund 9000 Euro kosten lassen und kommt auch für die Kosten der Futtermittel auf, berichtet Ricardo Garcia, Techniker bei der Wohnbau. Personell betreut wird es vom Tierschutzverein Gießen und Umgebung, der somit die Personalkosten zum gemeinsamen Projekt beiträgt. Laut Kepsch sei es erforderlich, zweimal wöchentlich nach dem Rechten zu sehen, Futter und Wasser nachzufüllen und Eier gegen Attrappen auszutauschen, sowie alle paar Wochen eine Grundreinigung vorzunehmen. Aufgaben, die sie zwischenzeitlich selbst übernommen hatte. Die im Keller gelagerten 25-Kilo-Säcke mit Taubenfutter nach oben zu schleppen, erfordert jedoch einige Muskelkraft, denn es gibt keinen Aufzug.
Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Habe man vor Projektstart etwa 200 Tauben in diesem Wohnviertel der Nordstadt gezählt, sind nun 120 bis 150 in die Behausung unterm Dach eingezogen. Garcia spricht daher von einem »Erfolg«, was auch von Anwohnern bestätigt werde, denn die Beschwerden über diese Vögel sind deutlich weniger geworden. Doch will so ein Taubenschlag gut geplant sein, um nicht unliebsame Besucher anzulocken, wie sich an dem Erlebnis zeigt, das Silvia Kepsch zu erzählen weiß: »Einmal kam ich hier oben rein und ein Sperber-Weibchen machte Jagd auf die Tauben.« Es stellte sich heraus, dass die Einflugöffnung damals noch etwas zu groß war und der Raubvogel hineingelangen konnte. Danach wurde die Öffnung sofort verkleinert.
Die Tauben-Problematik ist im Gießener Rathaus so etwas wie ein Dauerthema. So machen Vertreter der BIDs und des Handels sowie Anwohner immer wieder darauf aufmerksam und fordern Verbesserungen. Die in der Vergangenheit von der Stadt ergriffenen Maßnahmen haben jedoch nicht den erhofften Erfolg gezeigt. Mit der »Stadttaubeninitiative Mittelhessen« gibt es nun einen neuen, kundigen Ansprechpartner. Und das gilt es zu nutzen.
