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Übrig bleiben nur zwei Ohrfeigen

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Zu sechs Monaten Haft und 300 Arbeitsstunden wurde ein 29-Jähriger am Amtsgericht Gießen verurteilt. Es ging um die vermeintliche Messerstecherei vor dem »Bier-Express« im Oktober 2021.

Gießen. Ein 29-Jähriger musste sich wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht Gießen verantworten. Doch am Ende der Beweisaufnahme stellte sich das Tatgeschehen ganz anders dar als von den beiden mutmaßlichen Opfern zunächst geschildert. Lautete die Anklage anfangs auf gefährliche Körperverletzung mit einem Messer, so wurde der Angeklagte letztlich nur wegen einer einfachen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Von den schwerwiegenden Vorwürfen blieben nur zwei Ohrfeigen übrig. Entscheidend dabei waren die Videoaufnahmen, die den Vorfall vor der Kneipe in der Frankfurter Straße in den frühen Morgenstunden des 21.Oktober 2021 aufgezeichnet hatten.

Videoaufnahmen

Ins Rollen kam das Verfahren, weil ein Geschädigter damals mit einer Stichverletzung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Es handelte sich um eine zwei Zentimeter lange und fingertiefe Wunde, weshalb die Polizei verständigt wurde. Der Verletzte erzählte eine abenteuerliche Version von einem Überfall auf den Lahnwiesen, bei dem er sich diese Stichverletzung am Gesäß zugezogen habe. Auch sein Kumpel habe etliche Blessuren, unter anderen eine ausgekugelte Schulter, erlitten. Später behaupteten die beiden Männer, dass diese Verletzungen von einem Streit vor dem Lokal morgens gegen 4.30 Uhr stammen würden.

Was passiert war, wurde allerdings von einer Kamera gefilmt. Die entsprechenden Sequenzen haben auch die Prozessbeteiligten vor Gericht in Augenschein genommen. Es gab demnach eine handfeste Auseinandersetzung, bei welcher der Angeklagte in der Tat verletzt wurde. Seine Fäuste flogen aber ebenfalls, denn er schlug nachweislich zweimal kräftig zu. Alle anderen Aussagen erwiesen sich als wenig glaubhaft.

»Die Aussagen der Zeugen passen einfach nicht zu den Videoaufnahmen«, begründete Dr. Dietrich Claus Becker das Urteil. So sei zwar zu erkennen gewesen, dass der Angeklagte ein Messer zückte, nicht sichtbar war indes, ob er es auch benutzte, das lag nämlich außerhalb des Sichtfeldes. Zudem verließen die beiden Geschädigten nach den Streitigkeiten noch ohne wahrnehmbare Behinderungen den Tatort. Daher konnten lediglich die Ohrfeigen berücksichtigt werden. Diese sind jedoch als normale Körperverletzung zu werten und dieses Delikt wird nur auf Antrag der Angegriffenen oder bei einem öffentlichen Interesse verfolgt.

Genau dieses bekundete Staatsanwalt Eugen Schwegler, da der 29-jährige Metallbauer schon einschlägig vorbestraft ist. Er forderte acht Monate ohne Bewährung. Das hätte wiederum weitreichende Konsequenzen für ihn nach sich gezogen, da er sich noch in der Bewährung wegen einer anderen Straftat befindet.

Dies empfand das Schöffengericht unter Vorsitz von Dietrich Claus Becker als eine zu harte Bestrafung, da eine Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahr die Folge gewesen wäre. »Sie sind mit dieser Situation nicht gut umgegangen und haben falsch reagiert. Sie müssen sich Mühe geben, ihren eigenen Weg zu gehen«, gab der Richter dem Angeklagten noch mit auf den Weg. Sein Verteidiger hatte für sieben Monate, Bewährung und eine Geldstrafe plädiert. »Eine Geldstrafe wäre hier das falsche Signal, deswegen die 300 Arbeitsstunden«, betonte der Richter. Das Urteil ist rechtskräftig.

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