Ungekochte Anweisungen entsorgen

Beim Poetry Slam im Stadttheater Gießen traten vier Wortakrobaten gegen die Künstliche Intelligenz an - dabei gab es einige skurrilen Darbietungen.
Gießen. Das sich Poetry Slammer auf der Bühne mit Worten duellieren, um die Gunst des Publikums zu gewinnen, ist normal. Doch dass sie auch gegen eine Künstliche Intelligenz (KI) antreten müssen, die teilweise haarsträubende Texte verfasst, ist ein Novum. Im Stadttheater kam es am Donnerstagabend zum Duell und Duett: Mensch mit und gegen Maschine - es war ein vielfältiger Abend.
»Alle Texte werden mit Liebe zu tun haben. Eine Emotion, die uns von Computern und Christian Lindner unterscheidet«, stimmte Stamm-Moderator Lars Ruppel das Publikum auf den Abend ein. Dieser wurde von einer Künstlichen Intelligenz eröffnet - dem »Eloquentron 3000«. Ein Programm von Fabian Navarro, das einige kritische Zeilen formulierte. «Oh Mann, ich muss meine Menschenarbeit machen. Dann weint ihr herum, wenn es heißt, ein Roboter macht jetzt deinen Job. Sei doch mal dankbar..«
Nun lag es an den vier Slammern Anneke Schwarck, Julian Heun, Felix Römer und Pauline Puhze, mit Hilfe der eigenen sowie von einer KI geschriebenen Inhalten zu punkten. Julian Heun aus Berlin etwa las einen Text von einem Programm vor, das mithilfe einer Staubsaugeranleitung und zufällig generierten Satzbausteinen entstanden ist. »Wenn sich der Tarifmanager ändert, verwenden sie den Netzstecker nicht. Entsorgen oder probieren Sie unsere ungekochten Anweisungen - aber sinnlich,« lauteten die Zeilen des »Liebesgedichts«. »Also, für mich klingt das nach einer massiven Liebesmetapher, Hut ab,« stellte der ebenfalls als Autor aktive Heun amüsiert fest, der 2007 als 18-Jähriger die Poetry-Slam Meisterschaft in der Kategorie U-20 gewann.
Sein eigens verfasster Vortrag über einen hartgesottenen Liebes-Lyriker sorgte anschließend für mehr Begeisterung. »Hells Angels fliehen in hastenden Massen, der liebende Lyriker kommt, schnell die Gassen verlassen. Der dessen Künstlername nicht genannt werden darf. Horst Voldemort, der Proll des Wortes, ist da.«
Newcomerin Pauline Puhze aus Wetzlar traf mit ihrem emotionalen Vortrag »Kaffee und Tee« den Nerv der Zuschauer. Die junge Frau zeigte eindrucksvoll, wie vielfältig Liebe jenseits von traditionellen Geschlechterrollen sein kann. »Durch die Offenbarung meiner sexuellen Orientierung wurde ich punktuell interessanter, transformierte zu einem wilden Exemplar. Die Zweifel finden bis heute zahlreiche Wege in mein Herz. In der Gegenwart ihrer grünen Augen wollte ich glänzen, scheinen nur für sie.«
Für die meisten Lacher des Abends sorgte Felix Römer, ein Pionier der Slam-Szene. Zur Überraschung erwies sich sein von einer KI ausgespucktes Liebesgedicht als pures, mitunter aber auch verwirrendes Comedy-Gold. Zudem wurde es eine zufällige Ode über Moderator Ruppel. »Ich liebe dich, Lars, du Jeanne d’Arc der Leidenschaft. Ich liebe deinen Halt und deine Sektlaune, du bist so schön wie eine Natter. Meine Liebe zu dir ist medienwirksam«, lauteten nur einige Passagen des wahnwitzigen Textes. Zudem punktete der 42-Jährige, der eng mit Ruppel befreundet ist, auch mit seinen kurzen, prägnanten Gedichten. »Du hast mir deine Liebe ins Gesicht geworfen, gleich einem rohen Stück Fleisch. Und da ist sie dann verwest.«
Vierte im Bunde war Anneke Schwarck, die mit ihrem Vortrag über Fernbeziehung die höchste Einzelbewertung des Abends einfuhr. Dabei jonglierte die Kielerin geschickt mit Zahlen und Wortspielen. »85 Prozent der Zeit alleine, das habe ich ausgerechnet. Weil uns beide ausgerechnet 800 Kilometer trennen. Wäre ich Usain Bolt, würde ich in 21 Stunden bei dir sein. Wie spät ist es bei dir? Ich weiß, wir sitzen in der gleichen Zeitzone, aber vielleicht bin ich dir ja doch ein paar Sekunden voraus.«
Felix Römer siegte schließlich mit knappen Vorsprung und durfte sich wie üblich über illustre »Preise« aus dem Publikum freuen. Diesmal dabei: Schokolade, gewaschene Ersatzsocken, eine 1-Dollar Note sowie ein Tampon. Die Preisauswahl hätte eine KI nicht besser hinbekommen.