»Unser Protest ist unbequem«

In Gießen streikten am Freitagmittag rund 600 Menschen für mehr Klimaschutz. Die vor allem jungen Teilnehmer richteten dabei auch klare Forderungen an SWG und Stadtverwaltung.
Gießen . Bei manch einem Autofahrer schien der Geduldsfaden am Freitagnachmittag besonders kurz zu sein: Als die rund 600 Teilnehmer des »Globalen Klimastreiks« einen Stopp am Oswaldsgarten einlegten und damit den Verkehr größtenteils zum Erliegen brachten, mussten sie mit ihren Sprechchören gegen ein Hupkonzert ankämpfen. Eingeladen zu der Veranstaltung hatten »Fridays for Future Gießen« sowie »Students for Future Gießen«. Die Initiativen fordern mehr Klimaschutz und eine »konsequente Klimapolitik«.
Start der Demonstration war am Platz der Deutschen Einheit, von dort zogen die Massen über die Ringallee zur Gabelung Licher Straße/Grünberger Straße. Über den Berliner Platz ging es Richtung Oswaldsgarten und weiter zum Parkplatz der Stadtwerke Gießen (SWG). An den einzelnen Stationen gab es verschiedene Redebeiträge.
Der Ort der Abschlussversammlung war nicht zufällig gewählt: Die Streikenden richteten sich mit ihren Forderungen diesmal auch explizit an die SWG. Dem Energieversorger werfen sie vor, »nicht die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um die Energiewende voranzubringen«.
Noch vor der Veranstaltung habe man die Forderungen schriftlich an die SWG übergeben, rief ein Vertreter der »Students for Future« ins Mikrofon. Darin enthalten: Die SWG sollen noch in diesem Jahr einen Ökostromtarif mit dem »Grüner Strom«-Label anbieten und die Investitionen in eigene erneuerbare Energieanlagen deutlich erhöhen. Außerdem soll sich das Unternehmen am geplanten Windpark im Fernewald beteiligen und bis Ende des Jahres »einen konkreten Plan vorlegen, wie die Gießener Fernwärme bis 2035 CO2-neutral werden soll«. Es sei »Zeit, dass wir uns endlich von schmutzigen Energieträgern verabschieden«.
Parkplätze sollen kostenpflichtig sein
Auch die Stadt müsse mehr tun, um die Energiewende zu forcieren. Dafür sollten auch »die Innenstadt und weitere Zonen bis 2025 autofrei« werden. Gießen solle eine »grünere, menschenfreundliche Stadt« werden, forderten die Teilnehmer und schoben nach: »Wir wollen, dass jegliche Parkplätze von Stadt und Hochschulen kostenpflichtig werden.« Die Initiativen fordern außerdem die zeitnahe Umsetzung der Fahrradstraße auf dem Anlagenring.
Weil Gießen wachse, benötige die Stadt ein hochwertigeres ÖPNV-System. Ihre Forderung nach einer Regio-Tram untermauerten die Teilnehmer mit einem überdimensionalen Banner, auf das sie ihre Vision der möglichen Gießener Straßenbahn gemalt hatten. Die Regio-Tram solle »nicht an der Stadtgrenze enden«, sondern das Umland mit Gießen verknüpfen. Von der Stadt erwarten sie, dass sie noch in diesem Jahr eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gibt. Die Teilnehmer mahnten außerdem »Grünflächen statt Parkplätze«, baulich abgetrennte Radwege sowie Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet an.
Für Privatpersonen solle es zudem einfacher werden, Photovoltaikanlagen auf dem Balkon zu installieren. Ferner müssten sich die Gießener finanziell an der Energiewende beteiligen und Dividenden erhalten können.
Deutliche Kritik gab es für die Stadtregierung: Sie tue so, »als hätten wir noch alle Zeit der Welt«. Einen Plan, wie Gießen bis 2030 klimaneutral sein soll, gebe es nicht. An die Grünen gerichtet, sagten sie: »Ohne die Klimabewegung wärt Ihr nicht stärkste Kraft geworden. Ihr habt einen klaren Wählerauftrag.« Die Stadt solle darüber hinaus den Druck auf die Stadtwerke und deren Vorstände erhöhen, damit diese schnellstmöglich für CO2-Einsparungen sorgen.
»Zeit für zivilen Ungehorsam«
Am Berliner Platz wurde das Mikrofon an zwei Vertreter der »Letzten Generation« weitergereicht. Die Klimaaktivisten hatten in dieser Woche gleich zweimal den Verkehr in Gießen teilweise lahmgelegt, als sie sich auf der Fahrbahn festgeklebten. Sie würden für ihren Protest diskreditiert und Klimaschutzgegner würden harte Strafen fordern, kritisierten sie. »Unser Protest ist unbequem. Wir wissen das.« Noch unbequemer werde es jedoch, »wenn die Klimakatastrophe voranschreitet«. Bereits jetzt würden gerade die Menschen weltweit unter dem Klimawandel leiden, die am wenigsten für ihn verantwortlich seien.
Wenn sich die Aktivisten Kohlebaggern entgegenstellen oder sich auf dem Asphalt festkleben, würden sie das nicht tun, »um den Menschen dadurch etwas wegzunehmen«, sondern um die Zukunft zu bewahren. Nicht ihr Protest sei kriminell, sondern »das klimapolitische Versagen« der Regierungen.
Seit über 40 Jahren wisse man vom menschengemachten Klimawandel, doch es passiere einfach nichts: »Wir müssen jetzt handeln, um den Wahnsinn zu stoppen.« Es sei Zeit für eine Protestform, »die nicht mehr ignoriert werden kann, es ist Zeit für zivilen Ungehorsam«. Noch sei das Ziel zu erreichen. Man müsse den »Status Quo« unterbrechen und dafür sorgen, dass die Forderungen nicht ignoriert werden können. »Unser Haus brennt. Und wir von der ›Letzten Generation‹ sind der Feueralarm.«

