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»Veränderungen sind notwendig«

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Deniz Yücel, legte sein Amt als Präsident des PEN-Zentrums Deutschland in Gotha nieder. Seine Beschimpfung der Institution als »Bratwurstbude« ist für Sascha Feuchert »nicht fair und nicht richtig«. Fotos: dpa, Feuchert © dpa, Feuchert

Der Gießener Germanist und langjährige Vizepräsident des PEN-Zentrums Sascha Feuchert spricht im Interview über die Hintergründe des eskalierten Streits.

Gießen. Dass sich das altehrwürdige PEN-Zentrum Deutschland in den Abendnachrichten der Tagesschau wiederfindet, geschieht auch nicht alle Tage. Doch die vor wenigen Wochen gezeigten Bilder von der Jahrestagung aus Gotha waren für den Schriftstellerverband alles andere als ein Grund zur Freude. Berichtet wurde, weil es dort zu Tumulten kam, der Vorsitzende Deniz Yücel nur knapp im Amt bestätigt wurde, um anschließend von sich aus hinzuschmeißen und auszutreten.

Dem PEN rief er noch wutentbrannt hinterher, eine »Bratwurstbude« zu sein, um bald darauf einen zweiten Verein zu gründen: den PEN Berlin. Ihm schlossen sich so renommierte Mitstreiter wie Eva Menasse, Wladimir Kaminer, Christian Kracht und Thea Dorn an. Doch worum geht es bei diesem Konflikt überhaupt? Der Gießener Germanist und Vorsitzende des Literarischen Zentrums Gießen (LZG), Prof. Sascha Feuchert, war sechs Jahre Vorstandsmitglied des PEN Deutschland. Im Interview ordnet er die Ereignisse aus nächster Nähe ein.

Herr Feuchert, es gab diese Veranstaltung in Gotha mit dem seit Oktober als PEN-Vorsitzenden amtierenden Deniz Yücel. Stein des Anstoßes war, dass er sich über den Krieg in der Ukraine geäußert hat. Er hat gefordert, dass dort Nato-Flugzeuge eingesetzt werden. Dann ist das Ganze eskaliert. Das war aber doch wohl eher Anlass als Ursache, oder?

Es gab zwei Auslöser für diesen internen Konflikt. Der erste war die öffentliche Forderung Yücels nach einer Flugverbotszone in der Ukraine. Der zweite war vorgeschaltet: massive Beschwerden über den Führungsstil des neuen Präsidiums mit Yücel als Vorsitzendem. Beides ist dann in Gotha eskaliert. Die Vorwürfe über den Führungsstil waren meines Erachtens der wirkliche Grund, der den Konflikt ausgelöst hat.

Aber eigentlich greift auch diese Erklärung zu kurz. Ich glaube, in Gotha hat sich gezeigt, dass der PEN andere Strukturen braucht. Und das da Sachen zum Ausbruch kamen, die schon länger gären. Den Ausbruch selbst, wie da von gewissen Leuten Stimmung gegen das Präsidium gemacht wurde, halte ich für katastrophal.

Es gab persönliche Anwürfe, es wurde sehr laut. Auf Außenstehende wie mich wirkt es befremdlich, dass sich Leute, die sich dem selben Ziel verschrieben haben, so in die Haare kriegen können ...

Ja, das war auch für mich, der online an der Jahrestagung teilgenommen hat, erschütternd zu sehen. Eine kleine Minderheit der Mitglieder hat da einen Streit inszeniert, der sich jenseits sämtlicher Umgangsformen abgespielt. hat. Deniz Yücel konnte nicht mal »Guten Tag« sagen und wurde sofort niedergebrüllt, mit Anträgen zur Geschäftsordnung. Ich halte das für außerordentlich peinlich und schlimm, was da passiert ist.

Was sind die tieferen Ursachen dafür? Was hat da im PEN gegärt?

Ich glaube, dass es eine kleine Minderheit gibt, die sich gegen Veränderungen sträubt. Die sind aber notwendig. Der PEN ist fast 100 Jahre alt und muss sich immer wieder neu erfinden, reformieren und der jeweiligen Zeit anpassen. Das ist für manche offensichtlich schwer. Hinzu kommt, das Deniz Yücel auch nicht glücklich agiert hat, weil er zum Teil sehr offensiv gegen diese Leute vorgegangen ist und sehr ungeschickt mit der Geschäftstelle und anderen kommuniziert hat. Das hat sich dann in einer Weise hochgeschaukelt, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Er ist schließlich zurückgetreten, obwohl er knapp im Amt bestätigt wurde. Dann gab es dieses berühmte Wort von der »Bratwurstbude«, das vermutlich für lange am PEN haften bleiben wird ...

Das fürchte ich auch. Was ich Deniz Yücel übelnehme, ist, dass er damit auch hunderte von Autoren, die nicht an diesem Streit beteiligt waren, gleich mitbeleidigt. Und das ist nicht fair und nicht richtig.

Jetzt gibt es den neuen PEN Berlin, dem sich eine Menge prominenter Schriftsteller angeschlossen haben. Ist das in Ihren Augen eher eine Chance oder eher ein Risiko?

Ich glaube beides. Ich bin immer erstmal Optimist und denke: Natürlich hat sowas auch eine Chance. Weil sich jetzt hier etwas etabliert, das möglicherweise frisch, jung und der Zeit angemessen ist. Und es könnte auch sein, dass da eine ganz neue Dynamik für Literatur entsteht. Aber dafür braucht es - ganz wichtig - das Zusammenspiel mit dem etablierten PEN-Zentrum. Die Ziele sind ja dieselben. Sonst besteht auch die Gefahr, dass sich die Kräfte da spalten, wo man sie am meisten braucht: in der Arbeit für verfolgte Autorinnen und Autoren. Das kann in niemandes Interesse sein. Aber wenn beide PEN-Zentren zu einer einvernehmlichen Zusammenarbeit kommen, wenn die gegenseitigen Angriffe und die Debatten aufhören, dann glaube ich, dass da sogar eine Chance besteht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es dann auch eine ganze Menge Leute gibt, die Doppelmitgliedschaften anstreben.

Aber wie soll das konkret aussehen? Gibt es dann mehr Programme, mehr Plätze, mehr Anlaufstellen für verfolgte Schriftsteller?

Das wäre die große Hoffnung, dass es eine Ausweitung der Plätze gibt. Und nicht einen Streit um die bestehenden Programme. Oder dass man dem PEN Deutschland möglicherweise wegnimmt, was er über Jahre und Jahrzehnte erfolgreich gemanagt hat. Sondern dass dieses Engagement ausgeweitet werden kann und der PEN Berlin seine eigenen Programme startet.

Sind Sie bereits Mitglied in beiden Gruppen?

Nein, ich bin weiter im PEN mit Sitz in Darmstadt. Einfach, weil ich diesen Verein nicht verlassen konnte, in dem ich so lange Mitglied war. Aber ich schließe eine Doppelmitgliedschaft zukünftig nicht aus und bin auch schon von den Berlinern gebeten worden, beizutreten. Im Moment bleibe ich aber nur Mitglied in Darmstadt. Auch weil ich mithelfen will, dass die Vorkommnisse in Gotha aufgearbeitet und entsprechende Konsequenzen gezogen werden.

Wäre es denn für die beiden PENs ratsam, sich mittelfristig wieder zusammenzuschließen?

Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass es zwei PENs nebeneinander in einem Land gibt. In den USA war das lange Zeit der Fall, in Australien ist das heute noch so. Es muss also kein Schaden sein. In den USA haben sich die PENs zwischenzeitlich vereinigt und zusammen wieder eine größere Schlagkraft. Die Zukunft wird es weisen. Es wird aber wesentlich davon abhängen, wie die Amtsinhaber künftig miteinander umgehen können.

Das PEN-Zentrum Deutschland mit Sitz in Darmstadt sieht sich prinzipiell der Freiheit des Wortes und der Literatur verpflichtet. Dazu gehört insbesondere das Engagement für inhaftierte Schriftsteller. Der Gießener Germanist Prof. Sascha Feuchert war von 2012 bis 2018 Vizepräsident des PEN und hat in dieser Zeit das Programm »Writers in Prison/ Writers at Risk« verantwortet, das sich für verfolgte und bedrohte Schriftsteller in aller Welt einsetzt. (bjn)

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Sascha Feuchert war bis 2018 Vizepräsident des PEN-Zentrums Deutschland. © Red

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