Veränderungen »unumgänglich«

Nicole Daniel ist seit 19 Jahren Pächterin im Bürgerhaus Gießen- Kleinlinden. Corona-Pandemie und Energiekrise haben einige Veränderungen notwendig gemacht - das führte zu teils heftiger Kritik.
Gießen. Nicole Daniel hat viel Erfahrung, ihr Pachtverhältnis im Bürgerhaus Kleinlinden währt nun fast zwei Jahrzehnte. Doch zuletzt gab es Kritik an »unumgänglichen Veränderungen«.
In der Tat sind die Zeiten für Gastronomen nicht gerade leicht: Corona-Pandemie, Energiekrise, fehlendes Personal, ausbleibende Kunden, gestiegene (Einkaufs-)Preise. Obendrein sorgt noch eine Straßensperrung für Ärger. All das kratzt schnell mal an der beruflichen Existenz. Die Pächterin hat daraus Konsequenzen gezogen, die allerdings nicht jedem gefallen. Für den Erfolg und einen wirtschaftlichen Betrieb des Bürgerhauses seien manche Veränderungen aber unumgänglich gewesen.
Vor 19 Jahren trat Nicole Daniel die Nachfolge von Horst Hagmann an, gegen sieben Mitbewerber setzte sie sich seinerzeit durch und führte die florierende Gastronomie trotz vereinzelter Skepsis erfolgreich weiter. In Gießen kümmert sich mittlerweile niemand länger um ein Bürgerhaus.
Als 2020 Corona um sich griff, geriet jedoch einiges ins Wanken. Daniel schloss das Bürgerhaus als Vorsichtsmaßnahme, noch bevor dies offiziell angeordnet wurde - auch um ihre Mitarbeiter zu schützen. Als »überlebenswichtig« habe sich alsbald erwiesen, die Terrasse als ideale Ausweichmöglichkeit für die Bewirtung nutzen zu dürfen. Davon war zuvor so gut wie nie Gebrauch gemacht worden.
Die Stadthallen GmbH unterstützte Nicole Daniel ebenfalls, indem sie die Terrasse nicht nur neu möblierte und beschirmte, sondern auch eine Grundreinigung in Auftrag gab. Allerdings gelang es nicht, das Personal zu halten, die Mitarbeiter orientierten sich in diesen unsicheren Zeiten um - inklusive des Kochs. Das bedeutete wiederum, dass Nicole Daniel zu ihrer eigenen Küchenchefin avancierte und den Einkauf sowie die Zubereitung der Speisen eigenverantwortlich übernahm. »Das macht mir großen Spaß, ich will es auch gar nicht mehr missen und identifiziere mich voll mit meiner Rolle in der Küche.« Wenn überhaupt, sagt sie, bräuchte sie noch einen Geschäftsführer.
Seit jeher war das Bürgerhaus am Rande des Stadtteils ein beliebter Ort für überregionale Veranstaltungen, Tagungen, Fortbildungen, Hochzeiten und andere Familienfeiern. In der Pandemie hatte sie daher schon früh ein eigenes Hygienekonzept entwickelt. Das Angebot habe überzeugt - und gerade die überregionale Kundschaft habe ihr auch in schwierigen Zeiten die Treue gehalten. Und anders als beim Tagesgeschäft mit fester Speisekarte sind solche Veranstaltungen gut plan- und kalkulierbar. Da die »normalen« Besucher aber immer mehr ausblieben, sah sich die Wirtin gezwungen, auf die Gastronomie im Bürgerhaus samt À-lacarte-Geschäft zu verzichten. Personal und Speisen vorzuhalten, hätte sich nicht mehr gelohnt. In Kleinlinden stieß die Schließung nicht nur auf Verständnis - zumal auch nicht mehr auf die Traditionsgaststätte »Mutter Schmidt« ausgewichen werden kann.
Nicht mehr tragbar sei es darüber hinaus gewesen, die Stühle für die Chorproben des Gesangvereins Arion zu stellen. Die Stadthallen GmbH, Nicole Daniel und Vertreter des Vereins verständigten sich sodann, wie der Raum im Erdgeschoss von den Sängern in Eigenverantwortung genutzt werden kann - sofern er nicht für den Bürgerhausbetrieb benötigt wird. Eine Miete ist dafür nicht zu zahlen. Zudem bleibt es bei der vergünstigten Miete für den Saal.
Falls Arion bei Veranstaltungen Eintritt verlangt, muss dies indes mit der Stadthallen GmbH abgestimmt werden. »Vereine betrachten vieles als selbstverständlich«, meint Nicole Daniel. Sie erzielten Gewinne, machten sich aber oft keine Gedanken über die anfallenden Kosten. Daher ist die Pächterin froh über die getroffene Vereinbarung, bei der die Kosten nicht zu ihren Lasten gehen.
Auch Stadthallen-Geschäftsführer Sadullah Güleç habe betont, dass es wichtig sei, in dem bestehenden Spannungsverhältnis kommerzielle Interessen mit den Bedürfnissen des Gemeinwohls und der Förderung gemeinnütziger kultureller Einrichtungen in Einklang zu bringen. Dafür sei ein gewisses Maß an Verständnis und gegenseitiger Rücksichtnahme entscheidend.
Das Bürgerhaus diene eben nicht nur allein Vereinszwecken, wie dies früher mal der Fall gewesen sei. Ein Problem ist damit zwar gelöst, ein neues hat sich jedoch mit Beginn der Bauarbeiten in der Wetzlarer Straße aufgetan: Dadurch ist das Bürgerhaus schlechter zu erreichen. Auch die personellen Engpässe sind noch nicht behoben. Zugleich betont Nicole Daniel, wie wichtig es sei, respektvoll mit den Angestellten umzugehen und eine Vorbildfunktion auszuüben. »Wenn die Putzfrau ausfällt, musst du eben auch selbst putzen. Man sollte alles mal gemacht haben«, so ihr Credo. Und sie weiß: »Die Arbeit in der Gastronomie prägt einen über die Jahre.« Definitiv seien die Aufgaben nicht damit erledigt, »bloß die Tür aufzuschließen«.
Das Bürgerhaus in Kleinlinden ist noch eines der wenigen, die eine gutbürgerliche deutsche Küche servieren. Vor allem für ihre selbst gekochte Gemüsesuppe erfahre sie vielfach große Wertschätzung. Dann komme es bisweilen sogar vor, das ein zufriedener Gast einfach mal in der Küche vorbeischaut, um sein Lob zu überbringen. Jeder sei herzlich eingeladen, sich jederzeit selbst einen Eindruck davon zu verschaffen, wie das eigene Essen zubereitet wird.