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Verbindungen nach Namibia

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Von: Björn Gauges

Eine schwierige Beziehung: Um Namibia geht es bei einer Kunstausstellung im Rathaus Gießen, deren Eröffnung sich ein Vortrag zu den deutschen Spuren in dem afrikanischem Land anschloss.

Gießen. Die beiden Länder sind über 11000 Kilometer voneinander entfernt - und doch auf komplizierte Weise eng miteinander verbunden: Namibia und Deutschland. Von dieser gemeinsamen Geschichte erzählte nun bei einer Lesung in der Stadtbibliothek der Rüsselsheimer Buchautor Bernd Heyl, der seit 2008 Studienreisen nach Namibia unternimmt und dabei immer wieder die so kurze wie verheerende und bis heute nachwirkende deutsche Kolonialgeschiche der Jahre 1884 bis 1915 in den Blick nimmt. Zuvor eröffneten Stadträtin Astrid Eibelshäuser und Klaus A. Hess, der Vorsitzende der Deutsch-Namibischen Gesellschaft (DNG), eine Ausstellung mit 22 Werken von 15 namibischen Künstlerinnen, die bis Ende März im Rathaus-Foyer gezeigt werden.

Gießen pflegt seit 2018 eine besondere Beziehung zu dem dünn besiedelten Land im Südwesten Afrikas, wie Astrid Eibelshäuser bei der Ausstellungseröffnung berichtete. So gab es immer wieder gemeinsame Projekte, wie etwa einen Online-Austausch, an dem 75 Jugendliche aus Namibias Hauptstadt Windhoek beteiligt waren. Hinzu kommt eine Kooperation zwischen den beiden Stadtverwaltungen Gießens und Swakopmunds. Während im Herbst eine Delegation von dort in Gießen zu Gast war, geht es übernächste Woche in die andere Richtung. Dann wird eine Gruppe aus dem Rathaus die weite Reise in die rund 45000 Einwohner zählende Küstenstadt antreten, in der das deutsche Erbe in Afrika am deutlichsten sichtbar geblieben ist.

Doch die nun im Rathaus-Foyer gezeigte Ausstellung nimmt sich eines anderen Themas an: der Unabhängigkeit des Landes, das sich Ende 1990 aus der langjährigen Kontrolle des benachbarten Südafrikas befreien konnte. In der Hauptstadt Windhoek widmet sich The Project Room der Galeristin und Künstlerin Frida Lühl regelmäßig dem namibischen Unabhängigkeitstag, und so entstand durch die Förderung der Deutsch-Namibischen Gesellschaft dieses Kunstprojekt unter dem Titel »Independent«, an dem 15 Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft teilnahmen. In ihren vielgestaltigen Linoldrucken, Lithographien, Collagen und Zeichnungen reflektieren sie das Thema und befassen sich zugleich mit der gesellschaftlichen Lage im Land. Darunter sind politische Parolen, die schlagwortartig (auf Englisch) etwa Gerechtigkeit, Freiheit oder Menschenrechte einfordern. Auch die Rolle der Frauen taucht immer wieder motivisch auf. Hoffnungen, Träume, aber auch Enttäuschungen werden dabei in eine künstlerische Sprache übersetzt. «Es ist eine kritische Momentaufnahme des aktuellen Zeitgeistes in Namibia«, wie der DNG-Vorsitzende Hess im Rathaus formulierte. Die Ausstellung war nach dem Auftakt in Windhoek zunächst im Afrika-Haus Berlin zu sehen und ist nun auf seiner zweiten Station in Deutschland in Mittelhessen angekommen.

Mit der Ausstellungseröffnung verband sich der Vortrag von Bernd Heyl in der benachbarten Stadtbibliothek, der sein Buch »Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte« vorstellte und damit zugleich einen Überblick über die namibisch-deutsche Geschichte gab. Sein Anliegen war es, mit diesem Buch eine Brücke zu schlagen zwischen dem Stand »der wissenschaftlichen Forschung und dem, was für deutsche Touristen interessant ist«, wie er eingangs erläuterte. Denn die Spuren, die diese kurze Kolonialzeit etwa in der Architektur hinterlassen hat, sind nicht nur allgegenwärtig, sondern auch ein Punkt, mit dem häufig unreflektiert um deutsche Urlauber geworben wird. Hinzu kommt eine deutsche Minderheit, die in Namibia bis heute mit eigener Zeitung und eigenem Radiosender präsent ist. So ist es das einzige Land außerhalb Europas mit Deutsch als staatlich anerkannter Sprache.

Dabei fällt das erste Kapitel dieser gemeinsamen Geschichte überaus blutig aus. Die kaiserlichen Kolonialtruppen haben sich um die Jahrhundertwende im damaligen »Deutsch-Südwest« eines Völkermords schuldig gemacht, dessen Aufarbeitung noch lange nicht abgeschlossen ist. Heyl zitierte bei seinem Vortrag den späteren deutschen Außenminister Walther Rathenau, der bei einem Besuch in dem Land 1908 erschüttert eine Form der Sklaverei entdeckte, »wie sie den Bierträumen eines deutschen Philisters entstammt«. Während des Herero- und Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 kam es zu einem Massenmord an diesen beiden Bevölkerungsgruppen, der als erster Genozid im 20. Jahrhundert gilt. 115 Jahre danach wird heute zwischen Windhoek und Berlin über ein Aussöhnungsabkommen verhandelt. Doch das ist laut Bernd Heyl im Land der Opfer durchaus umstritten.

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Bernd Heyl Buchautor und Namibia-Experte © Björn Gauges
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Vergiftetes Erbe: Die Statue des deutschen Kolonialherrn Curt von François wurde vor wenigen Wochen in Namibias Hauptstadt Windhoek von ihrem Sockel geholt. Foto: dpa © dpa

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