Verfahren gegen KZ-Wachmann

Die Staatsanwaltschaft Gießen ermittelt gegen einen 98-Jährigen
Gießen . Etwa 200 000 Menschen wurden ab 1936 im Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen nördlich von Berlin inhaftiert, mehrere zehntausend von ihnen sollen ermordet worden oder aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen gestorben sein. Nun ermittelt die Gießener Staatsanwaltschaft gegen einen früheren Wachmann des Lagers. Das bestätigte Staatsanwalt Thomas Hauburger auf Anfrage des Anzeigers. Zuvor hatte Spiegel Online darüber berichtet.
Beihilfe zum Mord
Der Mann, der heute 98 Jahre alt ist, soll in der Zeit von 1943 bis 1945 als Wachmann tätig gewesen sein. Das Ermittlungsverfahren wird »wegen des Anfangsverdachts der Beihilfe zum Mord« geführt.
Ursprünglich habe die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt. Das Verfahren sei jedoch vor wenigen Wochen nach Gießen abgegeben worden, »da sich im Laufe der Untersuchungen herausstellte, dass der Beschuldigte zur Tatzeit Heranwachsender war und aktuell in Hessen wohnhaft ist«. Der Mann stammt laut Hauburger aus dem Rhein-Main-Gebiet. Die Ermittlungen dauern noch an und seien »umfangreich«.
Es wäre nicht das erste Verfahren gegen einen Wachmann des KZ Sachsenhausen: Erst im Juni hatte das Landgericht Neuruppin einen 101-Jährigen zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er den Mord von 3500 Menschen in den Jahren 1941 bis 1945 unterstützt habe. Der Mann hat Revision eingelegt und bestreitet seine Täterschaft.
Im KZ Sachsenhausen waren zunächst überwiegend deutsche Staatsbürger inhaftiert, darunter politische Gegner des NS-Regimes, Juden, Sinti und Roma sowie sogenannte »Berufsverbrecher« und »Asoziale«. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden Zehntausende aus den besetzten Gebieten in das KZ Sachsenhausen deportiert, vor allem aus der Sowjetunion und Polen.
Im Herbst 1941 wurden mindestens 13 000 sowjetische Kriegsgefangene in einer eigens dafür gebauten »Genickschussanlage« und bei der Erprobung von Gaswagen ermordet. Unter den Häftlingen befanden sich laut Angaben der Gedenkstätte rund 20 000 Frauen. Am 21. April 1945 wurde das Lager geräumt, als die Rote Armee die Oder erreichte. Mehr als 30 000 verbliebene Häftlinge wurden auf Todesmärsche geschickt, Tausende starben dabei.