Vergessenes Werk in Uraufführung

Der Fachbereich Musik der Liebigschule Gießen und das Hampshire Country Youth Orchestra setzen in der Petruskirche ein musikalisches Glanzlicht.
Gießen. Ein Beispiel von gelungener Zusammenarbeit ist die langjährige Freundschaft zwischen dem Fachbereich Musik der Liebigschule und dem »Hampshire Country Youth Orchestra« (HCYO). Das jüngste Konzert setzte nun allen bisherigen gemeinsamen Aktionen die Krone auf: In deutscher Uraufführung erklang die »Messe in C-Dur« von Ferdinand Hiller. Es war der Höhepunkt des rund zweistündigen Konzerts in der vollbesetzten Petruskirche, die auch akustisch den passenden Rahmen für dieses Ereignis bot.
Rund 150 Akteure entführten das Publikum in die Tiefen der romantischen Musik. Von Beginn an festlich eingestimmt und auf den Höhepunkt des Abends hinarbeitend, startete das Konzert bereits ungewöhnlich: Von der Empore herab intonierten die Bläser des HCYO den Marsch und die Canzona aus der Trauermusik für Queen Mary von Henry Purcell unter der präzisen Leitung von Carl Clausen, dem Leiter des HCYO.
Straffes Dirigat
Wie breit aufgestellt ein reiner Männerchor sein kann, zeigte die Herren der Lio mit ihren Interpretationen von »Grab und Mond« von Franz Schubert und dem Spiritual »Poor Man Lazarus«, bevor das englische Orchester die Sinfonie Nr. 5 d-Moll, op.107 von Felix Mendelssohn-Bartholdy zum Klingen brachte. Unter dem straffen Dirigat von Clausen entfaltete das Orchester die romantische Klangwelt in voller Breite und bereitete damit das Auditorium bestens auf die gemeinsame Aufführung von Hillers Werk vor.
Der in Frankfurt geborene Ferdinand Hiller (1811-1885) gehört zu den zu Unrecht vergessenen Komponisten. Er war Zeitgenosse von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Frédéric Chopin, pflegte mit ihnen eine innige Freundschaft. Während seines Schaffens hat der umtriebige Komponist kaum eine musikalische Gattung ausgelassen und viele seiner Werke waren zu seiner Zeit sehr bekannt.
Nach seinem Tod geriet Hiller allerdings in Vergessenheit. Sein Nachlass liegt in Frankfurt. Auf diesen stieß Dr. Florian Ilge während seines Studiums. Für seine Examensarbeit suchte er einen Bereich innerhalb der Musikwissenschaft, der noch nicht allzu sehr ausgeschöpft worden war. Sein Lehrer Prof. Peter Ackermann wies ihn daher auf Hiller hin. Aus der Examensarbeit wurde eine Promotion, in der er sich den unveröffentlichten Messen des Komponisten widmete. Inzwischen hat er die Messe komplett ediert. Sie ist im Verlag Dorr in Köln erschienen.
Als Musiklehrer an der Liebigschule konnte Ilge seine Kollegen und auch Clausen von der Idee überzeugen, dieses Werk aufzuführen. Und so probten das Orchester in Winchester und der Chor in Gießen rund ein halbes Jahr. In der englischen Partnerstadt fand die Premiere bereits am 4. Februar statt.
Klangliche Einheit
Die Messe ist ein großartiges Zeugnis romantischer Gefühlslagen. Musikalisch verlangt sie dem Chor und dem Orchester ein Höchstmaß an Disziplin und an gegenseitigem Einfühlungsvermögen ab. Das gelang den beiden Ensembles bestens: Nie spielte das Orchester den Chor an die Wand und umgekehrt. Dabei zeigte sich die glänzende Vorbereitung beider Ensembles, die zu einer klanglichen Einheit verschmolzen - eine Aufführung, die keine Wünsche offenließ.
Langanhaltende »standing ovations« waren der mehr als verdiente Lohn für diese außergewöhnlichen Leistungen von begabten Musikern aus Hampshire und Gießen. Für Clausen bedeutete dieses Konzert auch einen Abschied in der Zusammenarbeit mit der Liebigschule, da er zum 1. April in den Ruhestand geht. Das soll aber nicht das Ende der Kooperation und des Austauschs zwischen beiden Ensembles zur Folge haben, versicherte Musiklehrer Peter Schmitt, der das Projekt gemeinsam mit Florian Ilge seitens der Liebigschule organisiert hatte. Pläne für weitere gemeinsame Aktionen liegen schon bereit.