Verräterische Augenblicke

Bei Kontrollen gehen der Polizei in Gießen gleich mehrere Autofahrer, die unter Drogeneinfluss unterwegs sind, ins Netz
Gießen . Der junge Mann schaut versonnen mit geschlossenen Augen in den grauen Märzhimmel, während gleich zwei Polizisten konzentriert auf ihre Uhren blicken. Die Sekunden verrinnen, bis die Beamten den Mann nach einer Minute daran erinnern, dass er doch eigentlich nach einer geschätzten halben Minute »Stop« sagen sollte. »Warum sollte ich das tun?«, fragt der junge Mann verblüfft - und dann dämmert ihm etwas: »Ist das hier vielleicht ein Drogentest oder so?«
Richtig erkannt. Zwischen 11.30 und 15 Uhr kontrollierten am Mittwoch Polizeibeamte in der Grünberger Straße gemeinsam mit einer Richterin und einem Rechtsmediziner, ob Autofahrer unter Drogeneinfluss unterwegs waren. Wie groß dieses Problem ist, zeigte sich schnell. Bereits in der ersten Stunde hatte man drei Treffer: Cannabis, Kokain, Amphetamine, alles dabei.
Die Kontrolle war der Abschluss einer zweieinhalbtägigen Fortbildung, an der 15 Polizisten aus ganz Hessen teilgenommen hatten. Auch wenn die Zahl der Alkoholdelikte im Straßenverkehr noch immer höher ist, nimmt der Substanzmissbrauch am Steuer seit Jahren deutlich zu, sagt Seminarleiterin Aline Agel. Ein wenig sei man da in der gleichen Situation wie Doping-Jäger. Immer neue Substanzen kämen auf den Markt und man müsse sehen, dass man bei der Identifizierung dieser Stoffe Schritt halten könne.
Engmaschig
Gleich mit drei hintereinander geschalteten Sieben versuchte die Polizei, »zugedröhnte« Verkehrsteilnehmer herauszufischen. Ein Beamter mit großer Erfahrung, aber auch »Bauchgefühl« hielt immer wieder den Verkehr an, um einen Blick in die Fahrzeuge zu werfen und verdächtige Fahrzeuge auf einen Parkplatz zu leiten. Diesmal betraf das überdurchschnittlich viele Kleintransporter und Männer.
»Um diese Zeit sind überwiegend ältere Frauen unterwegs, die einkaufen. In dieser Gruppe ist Substanzmissbrauch eher selten«, meint der Beamte. »Lieferwagenfahrer stehen dagegen oft unter hohem Stress und Zeitdruck. Da wird öfter zu unerlaubten Stimulanzien gegriffen.«
Wer herausgewunken wird, muss zunächst einmal seine Fahrzeugpapiere vorzeigen und dann einige kurze Tests absolvieren, mit denen das Reaktionsvermögen, der Pupillenreflex oder der Gleichgewichtssinn überprüft werden. Sollte es auch hier Auffälligkeiten geben, muss der Fahrer mal kurz mit einem kleinen Plastikbecher in einem Dixi-Klo verschwinden. Danach entscheidet sich, ob er seine Fahrt fortsetzen kann oder ob sein Führerschein vorerst eingezogen wird.
Seine nächsten Aufträge absagen musste etwa ein Handwerker, der nicht nur Schmerzmittel in hoher Dosierung konsumierte. Der Urintest wies ihm sehr hohe Amphetaminwerte nach. »Das kann ein Anzeichen für einen nur kurz zurückliegenden Konsum sein«, erläutert der Frankfurter Rechtsmediziner und Toxikologe Dr. Alexander Paulke.
Wann er denn zuletzt Drogen genommen habe, wollte ein Polizeibeamter von dem Handwerker wissen, der es vorzog, diese Frage ohne rechtlichen Beistand nicht zu beantworten. Nicht immer seien die Ertappten so maulfaul, erinnert sich der Polizist, der die Autos herauswinkt. Ein Banker habe mal bei einer Kontrolle freimütig zugegeben, dass er zwei Wochen davor »gekokst« habe. Weil das Kokain in seinem Blut nicht mehr nachzuweisen war, hatte dieses Geständnis für ihn keine verkehrsrechtlichen Konsequenzen.
Generell ist das Ahnden von Drogendelikten im Straßenverkehr schwieriger als beim Alkoholmissbrauch, sagt Verkehrsrichterin Marina Bock aus Frankfurt. Dort gibt es eine klare Skala. Wer eine Alkoholkonzentration von 1,1 Promille in seinem Blut hat, ist nicht mehr fahrtüchtig. Punkt. Bei Drogen gestaltet sich das schwieriger, da der menschliche Körper auf diese Stoffe weit unterschiedlicher reagiert. Die gleiche Dosis, die den einen in einen gefährlichen, weil andere gefährdenden, Rauschzustand versetze, habe bei einem anderen überhaupt keine Wirkung, ergänzt Toxikologe Alexander Paulke.
Der erste Blick
Weil das Problem immer größer wird, sei es wichtig, die Wahrnehmung der Polizeibeamten zu schulen. Seminare wie das in Gießen sollen dabei als Multiplikator wirken. Die Beamten sollen ihre Kenntnisse später an die Kollegen weitergeben, um bei einer Routinekontrolle Anzeichen für einen Drogenkonsum besser erkennen zu können.
Viel verrät da schon der erste Blick, zumindest wenn man dem Verdächtigen dabei tief in die Augen schaut. Trübe, aber auch glänzende Augäpfel, Pupillen, die auf wechselnde Lichtreize nicht reagieren, oder flatternde Lider sind erste Hinweise, die durch Urin und Blutuntersuchungen bestätigt werden müssen. Das dafür nötige Instrumentarium habe sich bewährt, sagen die Richterin und der Rechtsmediziner. Fast alle Fälle, die nach einer solchen Kontrolle bei den Staatsanwaltschaften zur Anklage gelangen, hätten auch vor Gericht Bestand.
Am Mittwochabend zog die Polizei Bilanz: Ein Verstoß gegen die Versicherungspflicht, eine erloschene Betriebserlaubnis und sechs Blutentnahmen wegen des Verdachts des Drogenmissbrauchs am Steuer waren das Ergebnis der dreistündigen Kontrolle.
Zur Mehrheit der kontrollierten Fahrer, bei denen sich der erste Verdacht nicht bestätigte, gehörte übrigens auch der eingangs erwähnte junge Mann. Dessen anfängliche Begriffsstutzigkeit war eher auf Nervosität und mangelnde Sprachkenntnisse zurückzuführen.