Versorgungsqualität verschlechtert

Der TransMIT-Projektbereich veröffentlicht erste Ergebnisse der »Gießener Sterbestudie 2022«. Es wurden medizinisch-pflegerische und psycho-sozialn Bedingungen abgefragt.
Gießen (red). Deutschlandweit ist in der Zeit von September bis Dezember 2022 die »3. Gießener Studie zu den medizinisch-pflegerischen und psycho-sozialen Bedingungen des Sterbens« durchgeführt worden. Erste Ergebnisse hat der TransMIT-Projektbereich für Versorgungsforschung bereits veröffentlicht. Kurz und knapp zusammengefasst heißt es darin: »Es wird schwierig werden, die Versorgungssicherheit und -qualität aufrechtzuerhalten.« Justus-Liebig-Universität, Technische Hochschule Mittelhessen und Philipps-Universität Marburg sind die Gesellschafterhochschulen der TransMIT GmbH, die seit 1996 im Schnittfeld von Wissenschaft und Wirtschaft das Innovationspotenzial aus mehreren Forschungseinrichtungen in und außerhalb Hessens vermarktet.
In die Auswertung der im Online-Verfahren durchgeführten Befragung gelangten 855 Mitarbeiter der Gesundheitsversorgung aus allen Bundesländern. Diese waren zumeist als Pflegende oder Ärzte im Krankenhaus (64 Prozent), stationären Pflegeeinrichtungen (22 Prozent), häuslich-ambulanter Versorgung (10 Prozent) und Hospizen (4 Prozent) beschäftigt. Erstmals beteiligten sich auch Mitarbeiter aus Österreich.
Um die Versorgungssituation zu erfassen, wurde erneut ein 1988 entwickelter Fragebogen verwendet, der insgesamt 40 Fragen zu personellen, materiellen und räumlichen Ressourcen, Symptomkontrolle, Aufklärung, Arbeitsklima, Angehörigenintegration, Kooperation mit Versorgungspartnern und dem Umgang mit den Verstorbenen umfasst. Zusätzlich wurden noch acht Fragen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie und zur Zukunft der Sterbeversorgung eingefügt.
Symptomkontrolle
Als ein zentrales Ergebnis habe ermittelt werden können, dass 60 Prozent der Befragten berichten, die Versorgungsqualität habe sich insgesamt aufgrund der Corona-Pandemie zum Teil erheblich verschlechtert. Während die Symptomkontrolle in der Regel weiterhin aufrechterhalten werden konnte, seien die sozialen, aber auch fachlichen Zuwendungen durch die betroffenen Helfer (Ärzte, Pflegende, andere Therapeuten) teils massiv zurückgeführt worden. 70 Prozent gaben an, dass sich die Einbeziehung von Angehörigen am problematischsten entwickelt habe, da diese kaum noch stattfand. Die von der überwiegenden Mehrzahl der Mitarbeiter erlebte Belastung aufgrund der Pandemie drücke sich auch in Inhalt und Ausmaß der Nutzung eines im Fragebogen vorgesehenen Kommentarfeldes (Wie wird sich die Versorgung Sterbender in den nächsten Jahren entwickeln?) aus: 63 Prozent der Befragten machten davon Gebrauch und dokumentierten auch ihr großes Aussprachebedürfnis.
Die aktuelle Versorgungssituation in den Pflegeeinrichtungen und der Vergleich mit der Situation vor acht Jahren verdeutliche, dass sowohl Angehörige als auch Ehrenamtliche systematischer einbezogen werden. Auch die Information, Aufklärung und Prognosekommunikation werden, wenn auch nur geringfügig besser als früher vollzogen. Zugleich beklagt sich eine etwas größere Gruppe (›60 Prozent ) als schon 2014 über beständig unzureichende zeitliche und personelle Ressourcen.
Auch in den Krankenhäusern fanden Entwicklungen statt: Während die Art der Trägerschaft der Krankenhäuser keinen oder einen nur sehr schwachen Einfluss besitzt, ist auffällig, wie sehr sich die erreichten Qualitäten zwischen den Stationstypen bzw. deren Versorgungsauftrag unterscheiden. Es sind die Palliativstationen, auf welchen - mit zum Teil sehr deutlichem Abstand - die besten Voraussetzungen für die Sterbenden, deren Angehörigen, aber auch für die Mitarbeiter (Arbeitsklima, Ressourcen) bestehen. Demgegenüber sind es die Allgemeinstationen, welche die schwierigsten Bedingungen und erreichten Versorgungsergebnisse aufzeigen. Dies reicht von der vollzogenen Symptomkontrolle (zum Beispiel Schmerztherapie), der Wahrscheinlichkeit allein zu versterben, bis hin zum Vorhandensein notwendiger Pflegehilfsmittel. Als problematisch oder zumindest klärungsbedürftig sei auch der Befund zu bewerten, dass 65 Prozent (2013: 43 Prozent ) der Befragten angaben, dass oftmals oder immer unnötig lebensverlängernde Maßnahmen ergriffen würden.
Beim »Ländervergleich« mit Österreich sei auffällig, dass sich die Befragten dank ergänzender Fortbildungen deutlich besser auf die Betreuung Sterbender vorbereitet sehen und dass sie öfter oder stärker davon ausgehen, dass an ihrem Arbeitsplatz ein menschenwürdiges Sterben möglich sei.
Die Ergebnisgesamtschau zeige, dass es fachlich und ethisch weiterhin geboten sei, in den Krankenhäusern palliative Versorgungsbereiche aufzubauen, um diese dann gezielt als Kompetenzträger - etwa über palliative Konsildienste - für das gesamte Krankenhaus nutzbar zu machen.
Der ermittelte positive Trend zu mehr Information und Abstimmung in den stationären Pflegeeinrichtungen könnte als eine Auswirkung des Ende 2015 verabschiedeten Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung interpretiert werden, in welchem die Einrichtungen verpflichtet werden, eine bestmögliche, vorausschauende Planung für das Lebensende der Bewohner durchzuführen.
Problematisch und weiter klärungsbedürftig wiege der Befund, dass über die Hälfte (56 Prozent) derer, welche die Frage zur Zukunft der Sterbebetreuung aufgriffen (63 Prozent), eine ungünstige Vorhersage wählten: Personalnot, unzureichende Qualifikation, Ökonomisierung und verweigerte gesellschaftliche Verantwortlichkeit (Verleugnung der Endlichkeit) werden hier als Begründungen eingeführt. Weitere 24 Prozent sehen respektive erhoffen einen Status Quo und nur ungefähr 20 Prozent erwarten eine bessere Zukunft.
»Luft nach oben«
»Die genaueren Befunde zur Situation in den unterschiedlichen Einrichtungstypen, wie sich diese in den zurückliegenden zehn beziehungsweise für die Krankenhäuser 30 Jahren entwickelt haben, und welche Einflussfaktoren hier auf der Grundlage unserer Gießener Studien identifiziert werden können, werden wir im Verlauf des Jahres 2023 berichten. Ziel muss es sein, die erreichten Versorgungsqualitäten nicht nur zu erhalten, sondern weiterhin zu verbessern. Dabei besteht vor allem auch in der abgestimmten Zusammenarbeit der Behandler untereinander und mit den betroffenen Patienten oder deren Familien reichlich Luft nach oben«, so Prof. Wolfgang George, Wissenschaftlicher Leiter des TransMIT-Projektbereichs.