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Verzaubernde Rilke-Vertonung

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Oliver Steller, Bernd Winterschladen und Dietmar Fuhr verzücken das Publikum im Traumstern. Foto: Schultz © Schultz

Einen ungewöhnlichen Auftakt erlebten die Besucher zur Eröffnung der 20. Licher Kulturtage im ausverkauften Kino Traumstern.

Lich . Einen ungewöhnlichen Auftakt erlebten die Besucher zur Eröffnung der 20. Licher Kulturtage im ausverkauften Kino Traumstern. Oliver Steller gastierte im Trio mit Dietmar Fuhr (Bass) und Bernd Winterschladen (Saxofon) und seinem Rilke-Programm »Zwischen den Sternen«. Das Publikum war schlagartig wie verzaubert und blieb es bis zum Schluss.

Mehr Veranstalter

Doch auch die Eröffnungsreden hatten durchaus Unterhaltungswert. Peter Damm vom Vorstand »künstLich« e. V. freute sich sehr, »dass wir nach drei sehr schwierigen Jahren die Veranstaltungen wieder ohne Corona-Einschränkungen machen können und auch wieder mehr Veranstalter dabei sind«. Er dankte der Kulturwerkstatt Lich, dem »großen Netzwerk, das gemeinsam dieses spannende und großartige Programm zusammengestellt hat« und den Sponsoren, Sparkasse Gießen, OVAG, Licher Privatbrauerei und dem Licher Wochenblatt sowie Christiane Agel von der Stadtverwaltung Lich (»eine wichtige Stütze«).

Bürgermeister Dr. Julien Neubert dankte den Veranstaltern in seinem Grußwort, dass auch in diesem Jahr wieder »ein so tolles und interessantes Programm« auf die Beine gestellt wurde. Das sei auch ein Aushängeschild für die Stadt Lich und ihre Kulturszene. Er habe sich jedoch gefragt, was das Motto »Es werde Lich« zu bedeuten habe. »Ich habe es für mich so interpretiert, dass hoffentlich viele Menschen in anderen Orten sagen, es werde auch bei ihnen Lich. Es bedeutet, dass die hiesige Kulturszene in der Region ihresgleichen sucht.« Die Licher Szene habe die brutalen Einschränkungen der Corona-Zeit überstanden, die folgenden Jahre seien für die Kultur nicht leicht gewesen, zudem werde häufig an der Kultur gespart. Neubert sprach dann das Thema Künstliche Intelligenz (KI) an, die inzwischen »Gemälde so erschaffen könne, wie sie am Tage ihrer Herstellung ausgesehen haben«. Auch eine Traurede, wie er sie in einem Lehrgang kürzlich zu schreiben hatte, könne inzwischen ein »Chatbot« liefern. Seine habe er aber selbst verfasst. Der Sinn von Kultur liege nicht darin, eine Maschine zu beauftragen, ein Kunstwerk zu schaffen. Es gehe darum, dass Menschen ihre Absichten und Gefühle ausdrückten »und dass Sie sich entschieden haben, hier und heute teilzunehmen. Wir sollten alles tun, damit Kunst wie wir sie kennen bestehen bleibt und nicht von KI ersetzt wird. Das Programm ist ein klares Statement, wofür wir hier in Lich stehen.«

KI macht Künstler nicht arbeitslos

Peter Damm begrüßte sodann die Besucher erneut mit einer humorvollen Rede, die so abschloss: »Ich habe mich mit dem Bürgermeister nicht abgesprochen, aber tatsächlich sind diese Worte nicht meinem Hirn entsprungen, sondern wurden von dem KI-Programm Chat GBT erstellt (Gelächter im Saal). So viel Witz hätte ich der KI gar nicht zugetraut. KI wird die Kunst und Künstler aber nicht arbeitslos machen.«

Der Sänger und Autor Sven Görtz trug sodann das Gedicht F. W. Bernsteins vor, dessen Titel zum Motto der Kulturtage wurde; er hatte es 2005 den Kulturschaffenden geschenkt und nie veröffentlicht; es liegt in der Stadtbibliothek vor. Damm: »An einem Gedicht mit diesem Titel scheiterte die KI kläglich.«

Oliver Steller eröffnete sein Programm mit dem von ihm geschriebenen Lied nach Rilkes Gedicht »Leben in wachsenden Ringen«, das mit den unvergesslichen Zeilen endet: »Und weiß noch nicht, bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.«

Kaum geht es los, versinkt der Saal in tiefer Stille bis zur Zugabe, nur unterbrochen von heftigem Beifall, es ist eine Ausnahme - die Menschen nehmen intensiv Anteil. Sie spielen das Rilke-Programm schon seit 15 Jahren und nicht zum ersten Mal in Lich, sagte Steller. Man erfährt, mal wieder, wie der kleine zarte Junge (*1875 in Prag, Österreich-Ungarn; † 1926 in einem Schweizer Sanatorium) in Mädchenkleidern aufwachsen musste, wie er auf der Militärfachschule scheiterte und schon früh eigensinnige Pläne für seine Zukunft entwickelte.

Als er zum ersten Weltkrieg einrücken musste, war der kränkliche junge Mann, er blieb es lebenslang, untauglich und kam in die Schreibstube, »Stefan Zweig war schon da«, so Steller. Rilke traf diverse berühmte Zeitgenossen, am wichtigsten war vielleicht seine Beziehung mit Lou Andreas-Salomé, er begegnete auch Auguste Rodin, Sigmund Freud und Tolstoi. Beerdigt wurde Rilke in der Schweiz.

Man erlebt ein traumhaft eingestimmtes Ensemble, das klanglich um Stellers Stimme gebaut ist. Die beseelt agierenden Profis Winterschladen und Fuhr liefern nicht nur eine fabelhafte Begleitung, sondern immer wieder auch herausragend sensible und hochrangige solistische Beiträge, man hört mitreißende jazzige Melodien. Dann wieder nähert Steller sich musikalisch dem Theater an. Der Abend ist ein vielfältiger Genuss. Das Größte ist aber, wie Steller, der sich oft vorzüglich auf seiner Dobro begleitet, mit minuziöser Sorgfalt einen Tonfall für die Werke schafft, der dem Zuhörer unmittelbar einleuchtet, glaubhaft vorkommt und der berührt - alles zusammen.

Höhepunkte des Abends waren »Der Panther« und »Herr, gib jedem seinen Tod« mit formidablen Soli von Winterschladen und Fuhr. Steller schließt mit »Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest« und singt noch einmal »Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen«. Erst Stille, dann donnernder Applaus - ein exzellenter Auftakt für die Kulturtage.

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