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Von: Eva Pfeiffer

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Der THM-Rettungsdienst demonstrierte Hochschulpräsident Matthias Willems (links) und den übrigen Zuschauern der Ringvorlesung, wie telemedizinische Systeme künftig die Notfallversorgung entlasten können. Screenshot: Pfeiffer © Eva Pfeiffer

Überlastete Notaufnahmen und fehlende Ärzte: THM-Ringvorlesung in Gießen nimmt die medizinische Versorgung in den Blick

Gießen . Wer erst mit reichlich Verspätung bei der Onlineübertragung der Ringvorlesung der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) eingeschaltet hatte, der war vermutlich etwas irritiert, denn auf dem Bildschirm war ein Rettungseinsatz zu sehen. Zwei Sanitäter des hochschuleigenen Rettungsdienstes versorgten einen Mann im Publikum. Der »Einsatz« war allerdings geplant und sollte den Zuschauern vor Ort und an den Bildschirmen zu Hause demonstrieren, wie Notfallpatienten in Zukunft mit der Unterstützung telemedizinischer Systeme versorgt werden können - ohne, dass sie zwingend in die Notaufnahme müssen oder der Notarzt erst lange Zeit im Auto verbringen muss.

Seán O’Sullivan und Samuel Weirich von der THM-Arbeitsgruppe »Technologien in der Notfallmedizin« (Fachbereich Gesundheit) hatten zuvor das »Emergency Talk Network«, ein Konzept für lokale digitale Notfallnetzwerke, in einem Kurzvortrag vorgestellt. Mit ihm sollen die Rettungsassistenten und der Patient vor Ort mit einem Notarzt und der Notaufnahme vernetzt werden, um so die regionale Notfallversorgung zu entlasten.

Wer beispielsweise mit Rückenschmerzen sehr lange auf einen Facharzttermin warten müsse, der komme irgendwann an den Punkt, dass der Schmerz nicht mehr auszuhalten sei, erläuterte Seán O’Sullivan. »Was passiert? Er muss den Rettungswagen rufen, fährt in die Notaufnahme und wird dort versorgt« - obwohl die Behandlung eigentlich zuvor bei einem niedergelassenen Arzt hätte passieren sollen, um nicht Ressourcen in der Notaufnahme wegzunehmen.

Die Telemedizin soll aber nicht nur für Rettungsdienste genutzt werden, betonte Samuel Weirich. »Wir sehen in so vielen weiteren Bereichen des Gesundheitswesens, dass Kommunikation wichtig ist.« Welche Möglichkeiten der Einsatz von Videokonferenzen im Gesundheitswesen ermöglicht, habe man durch die Corona-Pandemie erfahren. Wenn beispielsweise der Transport aus einem Pflegeheim für die ambulante Versorgung in der Notaufnahme verhindert werden könne, schone das sowohl den Patienten als auch die Ressourcen des Gesundheitswesens.

Die Ringvorlesung, die in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen stattfand und von Prof. Holger Rohn (Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen) moderiert wurde, stand unter dem Titel »Mobilität und Gesundheitsvorsorge im ländlichen Raum«. Markus März, Studiengangsleiter Medizinisches Management, widmete sich im ersten Vortrag des Abends vor allem der augenärztlichen Versorgung. Bereits jetzt seien über 125 augenärztliche Sitze in Deutschland nicht mehr besetzt. Auch in Hessen gebe es viele verwaiste Standorte, an denen kein Augenarzt mehr tätig ist. Für die Patienten bedeute das Wartezeiten von bis zu einem Jahr für Routineuntersuchungen. Das Problem betreffe nicht nur den ländlichen Raum, sondern zunehmend auch städtische Regionen.

Abhilfe schaffen könnten Tele-augenärztliche Praxen. Die erste ist im November in Bad Berleburg an den Start gegangen und wird von den Artemis Augenkliniken betrieben. Ein Facharzt wird hier per Video zugeschaltet, die anschließende Untersuchung übernehmen medizinische Fachangestellte. Geeignet sei dies beispielsweise für Routineuntersuchungen, wie sie bei einem Glaukom oder für Diabetiker notwendig sind.

Allerdings übernähmen die Krankenkassen die Kosten derzeit noch nicht, sagte März, der neben seiner Arbeit an der THM auch Abteilungsleiter bei Artemis ist. Patienten müssten die 70 Euro für die Untersuchung daher aus eigener Tasche bezahlen. Dennoch werde das Angebot gut angenommen, da es lange Fahrtwege und Wartezeiten erspare.

Vivienne Mekhzoum, Projektmitarbeiterin am Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen, widmete sich in ihrem Vortrag innovativen Versorgungsformen, die dabei helfen können, dass ältere oder pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben können. Eine Möglichkeit wäre demnach ein »schlauer Boden«, der Stürze erkennt und die Information direkt an einen Rettungsdienst weiterleitet.

Derzeit gebe es in Deutschland rund fünf Millionen Menschen mit Pflegebedarf - Tendenz steigend. Gleichzeitig würden sich etwa 70 Prozent der Menschen wünschen, im Fall der Fälle zu Hause von einer professionellen Kraft versorgt zu werden. Die Technik im häuslichen Umfeld für die digitale Gesundheitsversorgung dürfe aber nicht dominieren, sondern lediglich unterstützen, sagte Vivienne Mekhzoum.

Die Gießener Ringvorlesung ist online verfügbar auf dem YouTube-Kanal der THM. Am kommenden Mittwoch, 18. Januar, findet ab 19 Uhr am Campus Friedberg der zweite Teil statt, dann zum Thema »Umweltorientiertes Verkehrsmanagement«. Auch diese Veranstaltung wird live auf YouTube übertragen und wird anschließend weiter auf dem THM-Kanal verfügbar sein.

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