»Völkische Landnahme« beleuchtet
Gießen (red). Im Frühjahr war in den Gießener Tageszeitungen zu lesen, dass ein in der Region bekannter Querdenker plane, in Waldsolms Land zu kaufen, um dort eine völkische Siedlung zu errichten. Die Gießener »Omas gegen Rechts« organisierten daraufhin eine Veranstaltung, bei der zwei mit dem Thema vertraute Referentinnen des MBT (Mobiles Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus - für demokratische Kultur in Hessen) eingeladen waren.
Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine Natur- und Heimatschutzbewegung mit dem Ziel, ein homogenes, organisch gedachtes Volk, eine »natürliche Nation« zu schaffen. Der ländliche Raum spielt in dieser rechten Ideologie eine wichtige Rolle. Nur dort könne man frei von den schädlichen Einflüssen urbaner Zentren leben und wirtschaften und Kinder in eigenen Einrichtungen erziehen.
An den heute neu entstehenden völkischen Siedlungen hat unter anderem die sogenannte »Anastasia-Bewegung« einen immer größer werdenden Anteil. Ideologische Grundlage ist eine im russischsprachigen Raum entstandene zehnbändige Bücherreihe mit dem Titel »Die klingenden Zedern Russlands« von Wladimir Megre, die seit 1993 in 20 verschiedenen Sprachen, auch in Deutsch, publiziert wird.
Inzwischen gibt es in Deutschland mindestens 17 Standorte, an denen die Anhänger dieser Bewegung leben. Die »Anastasia-Bewegung« ist eine Schnittstelle zwischen Ökologie, Esoterik, Verschwörungstheorien und völkischer Ideologie und zieht Reichsbürger, Identitäre, Querdenker und Anhänger der heimattreuen deutschen Jugend an. Zur Ideologie zählen Antisemitismus, Antifeminismus, Demokratiefeindlichkeit, Rassismus und Ethnopluralismus.
Das Führerschaftsprinzip, die traditionelle Familienform mit klarer Rollenzuweisung an die Frau als vielfache Mutter reinrassiger Kinder, das autarke Wirtschaften und der Ahnenkult sind Merkmale dieser völkischen Siedlungen. Besonders in Brandenburg und Sachsen ist es den Anhängern gelungen, Liegenschaft zu erwerben, um dort Tagungen, »Anastasia«-Festivals, Schulungen und Seminare abzuhalten.
In Hessen fand das erste »Anastasia-Festival« 2014 auf der Jugendburg Ludwigstein in Witzenhausen statt. Weitere Standorte der Bewegung finden sich im Landkreis Hersfeld/Rotenburg (Waldgartendorf), im Schwalm-Ederkreis (Familien-Lebensgarten), im Landkreis Fulda/Waldeck-Frankenberg. In Leun soll eine »Bauernhofschule« als Ergänzungsschule betrieben werden. Durch die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft konnten in Waldsolms die politisch Verantwortlichen verhindern, dass dort eine dieser völkischen Siedlungen entsteht.
Vertiefende Information und Buchempfehlungen zum Thema »Völkische Landnahme« sind auf der Webseite des MBT unter www.mbt-hessen.org zu finden.