Von der Vorlesung in die Werkstatt

Ann-Christin Veeger hat ein ungewöhnliches Hobby: Die JLU-Studentin drechselt in ihrer kleinen Werkstatt in Gießen Schmuck.
Gießen . Vorsichtig setzt Ann-Christin Veeger den Meißel an, kurz darauf fallen die ersten Holzspäne auf den Boden. Das Stück Pflaumenholz, das die junge Frau in ihrer Drechselbank festgespannt hat, dreht gleichmäßig seine Runden und verändert langsam aber sicher seine Form. Vor rund zwei Jahren hat Veeger, die an der Justus-Liebig-Universität Kunst und Englisch auf Lehramt für Gymnasien studiert, ihren ersten Drechselkurs besucht - mittlerweile kann man einige ihrer handgefertigten Unikate online bestellen.
Aber wie kam die 24-Jährige zu dem Hobby, das sonst eher ältere Männer begeistert? »Meine Mutter hatte einen Drechselkurs besucht und mir ihre Ergebnisse gezeigt. Das wollte ich auch können.« Gesagt, getan. Veeger macht ebenfalls einen Kurs und ist sofort Feuer und Flamme. Die ersten Stücke, die unter Anleitung entstehen, sind Möbelknäufe. Sie schmücken heute die kleine Flurkommode in der Wohnung, die sich Veeger mit ihrem Freund teilt. »Beim Drechseln hat man schnell Erfolgserlebnisse, wenn man unter Anleitung startet.«
In der sechs Quadratmeter großen Kammer unter dem Dach, in der sich die Studentin eine Werkstatt eingerichtet hat, entstehen ihre Unikate: Honiglöffel, Ohrstecker, Armbänder, Kettenanhänger, Flaschenstopfen - all das hat sie bereits hergestellt. Bald will sie sich auch an Salz- und Pfeffermühlen versuchen. Veeger vertreibt sie unter dem Namen »ACV Lieblingsstücke« - den Namen hat sie sehr bewusst gewählt, denn Drechseln ist nicht ihre einzige Leidenschaft. »Ich war schon immer kreativ und habe zum Beispiel Auftragsmalerei gemacht.« Auf ihrer Website, die es seit Ende 2021 gibt, will sie sich daher nicht nur auf Holzarbeiten festlegen.
Im Moment jedoch, nachdem Klausuren und Hausarbeiten geschafft sind, nimmt das Drechseln einen großen Teil ihrer Zeit ein. Gerade arbeitet sie an einem Korkenzieher aus Ebenholz - eine Auftragsarbeit, die kurz vor der Fertigstellung steht. Einen Preis für ihre Werke festzusetzen, sei ihr nicht leicht gefallen, sagt Veeger. Denn natürlich wolle sie ihre Handarbeit nicht unter Wert verkaufen, »aber ich fände es auch blöd, wenn Studierende meine Sachen nicht kaufen könnten«.
Ihre Drechselbank war ein Glücksfund, denn die Preise der Maschinen übersteigen die meisten Studierendenbudgets. Veeger hat die Bank gebraucht im Internet entdeckt. Ein Mann habe sich zu Beginn der Pandemie am Drechseln versucht, sich aber offenbar nicht langfristig dafür begeistern können. Veeger erstand die kaum benutzte Maschine und bekam sogar noch den passenden Tisch und einen kleinen Holzvorrat dazu.
Apropos Holz: Ihr Material bekommt sie zumeist über Kontakte, manchmal findet sie es aber auch im wahrsten Sinne des Wortes am Wegesrand. Als sie auf dem Weg zur Uni war, sei sie gerade an Baumfällarbeiten vorbei gekommen, erinnert sich die junge Frau. Kurzerhand rief sie bei der Stadt an und fragte, ob sie Holz für ihre Drechselarbeiten bekommen könnte. Die Stadt stimmte zu und Veegers Freund durfte dem Baum mit der Kettensäge zu Leibe rücken.
Wenn sie eine spezielle Holzart benötigt, wie etwa Ebenholz für den bestellten Korkenzieher, kauft sie es ein.
Nach und nach eignet sich Veeger Fachwissen über Hölzer an. Welche sind am besten geeignet zum Drechseln? Welche dürfen nicht verwendet werden, wenn sie später mit Lebensmitteln in Kontakt kommen? Und wie sieht eigentlich Douglasie aus?
Wie unterschiedlich Holz aussehen kann, das begeistert die junge Frau besonders. Bei einem zweiten Kurs, den sie zusammen mit ihrem Freund besucht hat, lernte sie Wachholder kennen. »Die Maserung und die Farbe war ganz besonders. Holz ist ein Naturprodukt und in vielen Fällen einfach wunderschön.« Und auch wenn ein Holzstück anfangs noch unscheinbar wirke - nach dem Drechseln und Einölen wirke es gleich ganz anders.
Hat ein Holz eine besonders auffällige Maserung, sei es eher nicht für einen kunstvoll gestalteten Kettenanhänger geeignet, sondern besser für ein schlicht gehaltenes Stück. Wie Kettenanhänger, Ohrringe Flaschenstopfen und Co. aussehen sollen, das skizziert die 24-Jährige vorab in einem kleinen Heft.
Da schon ein kleiner Ausrutscher für eine große Macke im Holz sorgen kann, muss man beim Drechseln durchgehend konzentriert bleiben. Die Studentin findet ihr Hobby trotzdem entspannend: »Ich kann dabei gut abschalten. Man bekommt ja mit der Zeit Routine.« Die angehende Lehrerin kann sich vorstellen, später auch mal ihren Schülern ihr Hobby näherzubringen. »Eine Drechsel-AG in der Schule fände ich toll. Ich hätte mich als Schülerin sehr darüber gefreut.«
