Vorkriegs-Ukraine, Eizellenspenden und ein Mord

Gießen (bj). Anfang dieses Jahres bekamen Stadttheater-Intendantin Simone Sterr und Dramaturgin Lena Meyerhoff den gerade erst auf Deutsch erschienenen Kriminalroman »Hundepark« in die Finger - und entschieden sich begeistert, umgehend eine Theateradaption auf die Bühne zu bringen. Nun feiert das Stück nach der Vorlage der finnisch-estnischen Schriftstellerin Sofi Oksanen am Freitag, 9.
Dezember, (19.30 Uhr) seine Uraufführung.
Es geht um zwei junge Frauen aus dem ukrainischen Kohlerevier Donbass, die dort in die Strukturen einer Agentur für Eizellenspenden gelangen - eine Branche, die den gebärfähigen Körper für Geschäfte mit dem Westen zu nutzen weiß. Zum einen kommt es in »Hundepark« zu einem Mord, zum anderen bietet die von Simone Sterr inszenierte Geschichte Einblicke in ein Business, das ärmere Frauen aus dem Osten finanzielle Einkünfte verspricht - und gleichzeitig reichen Westeuropäerinnen die Erfüllung unerfüllter Kinderwünsche. Bei allen Begleiterscheinungen, die solche Geschäfte haben.
Die Entscheidung, diesen Stoff auf die Bühne zu bringen, fiel wenige Tage vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, erzählt Simone Sterr im Pressegespräch. Das Team habe sich dann nach dem 24. Februar gefragt, ob es angesichts der aktuellen Ereignisse weiter daran festhalten wolle - und entschied sich dafür. Denn die mit Zeitsprüngen arbeitende Handlung ist zwischen den 1990ern und 2016 angesiedelt, was keine direkte Verbindung zu dem aktuellen Krieg herstelle, gleichzeitig aber einiges über seine Vorgeschichte verrate.
Und auf indirekte Weise haben die aktuellen Geschehnisse dennoch Einfluss auf das Stück genommen. Denn dazu hat Theatermusiker Jojo Büld einige Songs geschrieben, die er mit einer Band und vier Ukrainerinnen live auf die Bühne bringt. Zwei der Frauen leben schon länger in der Region, zwei sind erst im Zuge des Kriegs als Flüchtlinge nach Gießen gekommen. Nach einem Casting hat er die Musik mit ihnen in einem Workshop einstudiert. Es gibt Lieder auf Deutsch ebenso wie »ukrainische »Klassiker«, erzählt er. Zugleich hat sich Regisseurin Simone Sterr für diese Herangehensweise entschieden, um die Träume und Sehnsüchte der im Zentrum von »Hundepark« stehenden jungen Frauen sichtbar zu machen.
Was sie dabei besonders an dem Stoff gereizt hat, ist die Komplexität der Figuren. »Es gibt kein Schwarz-Weiß, kein einfaches Gut und Böse«. Denn die jungen Frauen, die sich von den Agenturen als Eizellenspenderinnen anwerben lassen, seien zwar Opfer ihrer Situation, aber auch Täterinnen, die sich davon ein besseres Leben versprechen.
Autorin Sofi Oksanen hat sich zur Premiere angekündigt und will aus ihrer Heimatstadt Helsinki nach Gießen kommen, kündigt das Stadttheater an.
Bei einer kurzfristig organisierten Lesung am Samstag, 10. Dezember, um 20 Uhr im Prototyp (Georg-Philipp-Gail-Str. 5) wird sie zudem über den Roman sprechen. Tickets dafür gibt es im Haus der Karten.
Vor der Schauspiel-Premiere von »Hundepark« am Freitag, 9. Dezember, gibt die neugegründete Band gemeinsam mit Mitgliedern des Schauspielensembles einen musikalischen Einblick in den Probenstand: Am heutigen Freitag um 20 Uhr im Großen Haus des Stadttheaters. Zu hören sind Songs, die um die Lebenswelt und Träume von jungen Frauen kreisen - in deutscher und in ukrainischer Sprache, oft wütend, manchmal leise und immer aufbegehrend. (red)