Warteliste statt Notunterkunft

In Gießen fehlt es an Unterkünften für Frauen in Not. Das Autonoma Frauenhaus wurde daher am Dienstag bestreikt.
Gießen . Wer im Internet nach einem freien Platz in einem Frauenhaus sucht, der findet vor allem eines: Jede Menge magentafarbene Kreise mit einem X. Das Symbol zeigt auf der Seite frauenhaus-suche.de an, dass der Zufluchtsort belegt und eine Aufnahme nicht möglich ist - auch in Gießen ist das derzeit in beiden Frauenhäusern der Fall. Für Frauen in Not bedeutet das, dass sie in ihrer aktuellen Situation bleiben müssen und weiterhin einem gewalttätigen Partner oder anderen Gefahren ausgesetzt sind. Für den gestrigen Dienstag, einen Tag vor dem Internationalen Frauentag, hat die Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser (ZIF) daher zum bundesweiten Streik aufgerufen. Auch das Autonome Frauenhaus Gießen hat sich daran beteiligt und mit einem Informationsstand im Seltersweg auf die schwierige Lage aufmerksam gemacht.
Über 16 Plätze verfügt das Autonome Frauenhaus derzeit. Wenn die Umbaumaßnahmen abgeschlossen sind, sollen es 20 sein, darunter auch ein barrierearmer Platz. Anfragen von Frauen in Not, die oft nicht nur eine Unterkunft für sich, sondern auch für ihre Kinder suchen, gebe es jedoch deutlich mehr, sagt Mitarbeiterin Alina Jesinghausen. Es sei erschreckend, »wie wenig wir unmittelbar helfen können«. Wer nicht direkt einen Platz bekommt, kann sich auf eine Warteliste setzen lassen. Keine befriedigende Situation, weder für die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses, noch für die Hilfesuchenden.
Und die Situation in Gießen ist keine Ausnahme: Laut dem Berliner Verein Frauenhauskoordinierung fehlen in ganz Deutschland über 14 000 Unterkunftsmöglichkeiten für gefährdete Frauen. Die europäische Expertenkommission GREVIO kommt zu dem Schluss, dass Deutschland bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats deutlich hinterher hinkt. Die Konvention zielt auf die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ab, Deutschland hat sie 2017 unterzeichnet.
Doch nicht nur die fehlenden Frauenhaus-Plätze sind ein Problem. Teilweise scheitere eine Aufnahme auch am Aufenthaltstitel - nämlich dann, wenn die Frau nicht über ein vom Partner unabhängiges Aufenthaltsrecht verfügt. Alina Jesinghausen und ihre Kolleginnen fordern daher einen niedrigschwelligen und unbürokratischen Zugang zu Schutz für alle Frauen und ihre Kinder. Und auch das Geld könne ein Problem sein, denn für den Platz im Frauenhaus fällt ein Tagessatz als »Miete« an. In Gießen sind das 10 Euro pro Person - für eine Mutter mit zwei Kindern wären das im Monat rund 900 Euro. Frauen, die über Einkommen verfügen oder studieren, müssen ihren Aufenthalt teilweise oder ganz selbst bezahlen. Wer Anspruch auf Sozialleistungen hat, kann sich die Kosten erstatten lassen.
Die Sicherheit der Frauen und Kinder müsse zudem Vorrang haben in Sorgerechts- und Umgangsverfahren. Denn gerade wenn die Trennung noch sehr frisch ist, sei die Gefahr für Frauen besonders groß, Opfer von Gewalt durch den Ex-Partner zu werden, betont Serife Deniz. Derzeit würden aber weder die Frauen noch die Kinder effektiv vor fortgesetzter Gewalt geschützt.
Die streikenden Frauenhäuser fordern zudem ein Drei-Säulen-Modell zur einzelfallunabhängigen Finanzierung der Häuser. Ein Sockelbetrag soll die Kosten abdecken, die in allen Einrichtungen anfallen, unabhängig ihrer Größe, darunter eine 24-Stunden-Rufbereitschaft, aber auch Ausgaben für Prävention, Öffentlichkeits- oder Vernetzungsarbeit. Die Platzkostenpauschale ist abhängig von der Anzahl der vorgehaltenen Plätze und soll eine nachhaltige Unterstützung von Frauen und Kindern mit unterschiedlichen Bedarfen gewährleisten. Dritte Säule sind die Gebäudekosten, die dynamisch angepasst werden sollen.