1. Startseite
  2. Stadt Gießen

Was ein Davidstern auslösen kann

Erstellt:

Von: Burkhard Bräuning

buseck_250223_4c_4c_1
Christel Buseck (l.) überreicht Anja Kuhl von der Leitung der Sophie-Scholl-Schule ein Exemplar der gespendeten Bücher. Foto: bb © bb

Die Gießenerin Christel Buseck hat eine ganz besondere Buchspende an die Sophie-Scholl-Schule gemacht. Die hat auch mit dem Kampf gegen Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus zu tun.

Gießen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Bald wird es keine Holocaust-Überlebenden mehr geben, die ihre Geschichte erzählen können. Doch ihre Erinnerungen sollen nicht verloren gehen. 2019 stellte die Deutsche Welle eine Reportage ins Internet. Die Schlagzeile: »Wenn die Holocaust-Zeitzeugen sterben«. Mittlerweile sind tatsächlich weitere bekannte Frauen und Männer gestorben, die den barbarischen Wahnsinn der Nazis überlebt hatten. Und auch viele, die nicht so berühmt waren.

Zu den eher prominenten Holocaust-Überlebenden gehörte Esther Bejarano. Sie starb am 21. Juli 2021 in Hamburg. Bis zuletzt hatte sie die Erinnerung an den Holocaust wachgehalten, hatte ihre eigene Geschichte nicht nur in Schulklassen erzählt. Sie sang auch - für Toleranz und gegen Rassismus. Auf der Website der Deutschen Welle kann man lesen: »Im Mädchenorchester von Auschwitz spielte sie Akkordeon - obwohl sie das Instrument noch nie in der Hand hatte. Die damals 19-Jährige wusste: ›Ich muss in dieses Orchester, sonst bin ich erledigt‹. Und so rettete ihr die Musik das Leben.«

Menschen wie Bejarano rührten Tausende Schülerinnen und Schüler zu Tränen, rüttelten sie wach. Die Aufgabe müssen nun andere übernehmen, die sicher genauso engagiert zu Werke gehen, denen aber eins fehlt: Die Authentizität. Das können und konnten wirklich nur die vermitteln, die dabei waren.

Dennoch ist es gut und wichtig, dass weiterhin Frauen und Männer in Schulen gehen und Vorträge halten über den Holocaust und andere Gräueltaten der Nazis. Zu den Organisationen, die sich darum kümmern, gehört auch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar. Nicht nur in dieser Organisation engagiert sich fast ihr ganzes Leben lang auch Christel Buseck aus Heuchelheim. Sie erhielt dafür im vergangenen Jahr die Hedwig-Burgheim-Medaille - die höchste Auszeichnung, die die Stadt Gießen zu vergeben hat.

Christel Buseck überreichte vor einigen Tagen im Auftrag der Gesellschaft mehrere Exemplare des Buches »Völlig meschugge« an die Sophie-Scholl-Schule in der Rödgener Straße. »Völlig meschugge« ist ein Comic-Roman. Der Inhalt: Charly und Benny sind dicke Freunde. Auch Hamid, der als Flüchtlingskind aus Syrien kam, gehört mit dazu. Die unbeschwerten Kindheitstage enden, als Bennys Opa stirbt und seinem Enkel eine Kette samt Davidstern vererbt. In der Folge geraten die Jugendlichen in ein Geflecht aus Rassismus, Mobbing und Antisemitismus.

Anja Kuhl, Mitglied der Schulleitung, dankte Christel Buseck für die Spende und sagte: »Wir werden die Bücher nicht nur für den Religions- und Ethikunterricht nutzen, sondern auch in den Fächern Deutsch und GL. Wir sind eine Sophie-Scholl-Schule, stehen also für bestimmte Werte und haben klare Leitideen. Zu all dem passt das Buch sehr gut.« Wir haben Frau Buseck zu dem Themenkomplex einige Fragen gestellt:

Frau Buseck, seit wann engagieren Sie sich gegen Antisemitismus, gegen Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung?

Seit meiner Schulzeit. In meinem liberalen Elternhaus und auch in der Schule habe ich viel über die dunkle Zeit unserer deutschen Geschichte erfahren. Im Geschichtsunterricht wurden uns wiederholt Filme gezeigt, die die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung aufzeigten und thematisierten. Ausgrenzung, Antisemitismus und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, der Nachbarn, in der Zeit des Nationalsozialismus, darüber wurde offen gesprochen. Von dem Miteinander der Familie meiner Großeltern mit der Nachbarin Emma Levi und ihren Töchtern Silba und Irma, mit der sie befreundet war, erzählte meine Mutter häufig. Durch diese Erzählungen war mir jüdisches Leben in der Öffentlichkeit und vor allem im privaten Bereich nicht fremd.

Wann hatten Sie erstmals Kontakt zu Überlebenden des Holocaust?

Einen ersten Kontakt zu Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz hatte ich während meiner ersten Reise nach Israel 1971. Hier hatte ich im direkten Kontakt die Möglichkeit, Fragen zu stellen und mich zu informieren. All diese Begegnungen haben mich bestärkt, mich in diesem Bereich aktiv einzubringen. Daher war mir meine Mitarbeit wichtig, als von einer kleinen Arbeitsgruppe in der Schule die Schicksale der jüdischen Schülerinnen des Lyzeums, heute Ricarda-Huch-Schule, in den 90er Jahren aufgearbeitet werden sollten.

Was haben Sie in der Schule konkret gemacht?

Das Thema »Erinnern« aufzugreifen, Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen dafür zu sensibilisieren war ein wesentlicher Bestandteil meiner pädagogischen Arbeit. Durch verschiedene Formen des Erinnerns, zum Beispiel Lesungen oder Ausstellungen, gaben wir, ein Team von Lehrerinnen und Lehrern (Trialog-Team), den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich diesem Thema zu nähern und sich damit auseinanderzusetzen. Begegnungen mit ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die auf Einladung der Stadt Gießen an der Begegnungswoche teilnahmen, war für Schülerinnen und Schüler ein besonderer Moment. Diese Begegnungen in der Schule ermöglichten das direkte Gespräch mit den Überlebenden der Shoah.

Sie haben 2022 die Hedwig-Burgheim-Medaille, die höchste Auszeichnung der Stadt Gießen, erhalten. Welche Bedeutung hat diese Ehrung für Sie?

Die Verleihung der Hedwig-Burgheim-Medaille ist für mich eine große Auszeichnung und Wertschätzung meines Engagements, sowohl im pädagogischen als auch im privaten Bereich. Dass die Stadt Gießen meine Arbeit auf diese Weise würdigt, ist für mich Ansporn für weiteres Engagement.

Es leben nur noch wenige Menschen, die den Holocaust überlebt haben. Wenn die letzten Überlebenden gestorben sind, wer legt dann Zeugnis ab?

Berichte aus dieser Zeit müssen dazu dienen, Menschen diese Jahre nahezubringen. Wir müssen aufmerksam machen auf Formen von Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung - das sind die Punkte, die im Vordergrund stehen müssen. Hier deutlich entgegenzutreten muss ein Thema in allen gesellschaftlichen Bereichen sein. Besonders im pädagogischen Bereich gibt es viele Möglichkeiten, zum Beispiel Literatur, darstellendes Spiel, dies alles immer frühzeitig zu thematisieren. Schon im Kindergarten muss diese Aufgabe übernommen werden. Je früher, je besser.

Sie haben unter anderem der Sophie-Scholl-Schule Bücher gespendet. Was erhoffen Sie sich davon?

Nicht ich, sondern die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar, deren Vorstandsmitglied ich bin, hat gespendet. Die Gesellschaft sieht ihre Aufgabe unter anderem darin, für Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden bei gegenseitiger Achtung aller Unterschiede einzutreten. Desweiteren wenden wir uns entschieden gegen die Diskriminierung von Personen und Gruppen aus religiösen, politischen, sozialen und ethnischen Gründen. Unter dieser Prämisse hat die Gesellschaft zuletzt insgesamt 45 Bücher an weiterführende Schulen im Raum Gießen/Wetzlar verschenkt, um das Thema Nationalsozialismus einmal auf anderer Ebene den Schülerinnen und Schülern näherzubringen. Darunter auch das sehr persönliche Buch »Heimat« der Autorin Nora Krug.

Um was geht es in den gespendeten Büchern?

Die Graphic Novel (Comic im Buchformat) »Völlig meschugge« bietet die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler in kurzen Sequenzen mit dem Thema Ausgrenzung, Mobbing und Antisemitismus in Kontakt zu bringen. Die angegebenen Beispiele spiegeln Themen wieder, denen Schülerinnen und Schülern sicher schon im privaten Bereich, in der Schule und in der Freizeit begegnet sind.

Elie Wiesel, Überlebender des Holocaust, sagte: »Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer, Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.« Was heißt das im Blick auf den Krieg in der Ukraine?

Solidarität mit der Ukraine ist zwingend notwendig. Hilfe und Unterstützung für die geflüchteten Menschen und die Menschen vor Ort sollte selbstverständlich sein. Diese Unterstützung wird sicher noch längere Zeit gefordert sein. Ein Ende des Krieges in kurzer Zeit ist m. E. nach momentan nicht in Sicht. Aus unserer eigenen Geschichte wissen wir, dass Stillschweigen und Wegschauen keine Möglichkeit ist. Die täglichen Berichte und Nachrichten zeigen oft unsere Hilflosigkeit. Trotzdem, bei Demonstrationen, bei Mahnwachen Gesicht zeigen ist eine Möglichkeit für jeden Bürger.

Putin sagt aber zur Ukraine was ganz Anderes...

Bei allen historischen Verbindungen zur Sowjetunion handelt es sich bei der Ukraine seit 1991 um einen souveränen Staat. Kennzeichen dieser Souveränität sind - unter anderem - die Lebensverhältnisse und die Beziehungen zu anderen Staaten nach eigenen Kriterien gestalten zu können. Insoweit wurde die Ukraine völkerrechtswidrig überfallen. Vor diesem Hintergrund müssen Politiker intervenieren, Gespräche führen, immer wieder Bündnisse eingehen und versuchen, Lösungsmöglichkeiten anzubieten.

Hat Ihre Arbeit schon mal dazu geführt, dass Menschen Ihnen Hassgefühle entgegengebracht haben?

Nein, zumindest nicht im direkten Kontakt.

Auch interessant