Was Gießens Nächten fehlt

Zwischen Feiern und Ruhebedürfnis: Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher lud Clubbetreiber, Gastronomen, Kulturschaffende und Veranstalter zum Gespräch über das Nachtleben.
Gießen (red). Keine Angebote, keine Räume, keine Infrastruktur? Oder doch eher: Keine Betreiber, keine Macher, keine Ideen? Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher hatte eingeladen zur ersten Veranstaltung zum Thema »Nachtleben«. Es ging um den vertrauensvollen Austausch unter geladenen Gästen: Clubbetreiber, Gastronomen, Veranstalter, Hochschulen, Kulturschaffende. Im Musik- und Kunstverein als Gastgeber tauschten sich die Akteure in einer moderierten Runde über rund drei Stunden mit dem OB, Bürgermeister Alexander Wright sowie Vertretern der Verwaltung darüber aus, was in Gießen fehlt und was zu tun ist.
Was alle verband: Der Wunsch, dass der Reichtum der Stadt an Aktiven und Kreativen auch das Nachtleben weiter bereichern möge. Welche Bedeutung die Ausgeh- und Feiermöglichkeit für die Zufriedenheit und die Lebensqualität vor allem, aber nicht ausschließlich für junge Menschen hat und welche auch ökonomische Bedeutung die Nacht für all die hat, die von ihr leben wollen und müssen, darauf wies der Hamburger Stadtplaner Jakob Franz Schmid in einem Eingangsreferat hingewiesen. Er plädierte dafür, es anderen Städten gleichzutun: Sich in einem strategischen Prozess zu überlegen, welche Bedürfnisse es gibt, wie sie abzubilden sind, wie Interessenkonflikte zwischen Feiernden und etwa Anwohnern zu vermeiden sind.
Schmid warb dafür, die Nachtökonomie genauso ernst zu nehmen, wie etwa die Interessen des Handels, der seinerseits allerorts bereits gut organisiert sei, um für sich und seine Interessen zu werben. Deshalb warb er dafür, dass sich Interessenvertreter des Nachtlebens zusammenschließen mögen - damit ihre Stimme gehört werde und einfließen könne in die Stadtentwicklung.
Klar jedoch wurde auch: Es gibt nicht nur eine Stimme. Ob das Bestehende »nur« mehr Unterstützung braucht, mehr Hilfestellung oder doch mehr Regelmäßigkeit von Angeboten gewünscht ist. Ob fehlende Clubs ein Ergebnis von fehlendem Raum, fehlender Nachfrage oder veränderter Ausgehgewohnheiten sind - auf all das gab es keine eindeutige Antwort.
Die Macher und Aktiven im Publikum zumindest plädierten deutlich dafür, aus dem Spektrum des Bestehenden Weiteres zu entwickeln und nicht von einem Tanztempel am Rande der Stadt zu träumen. OB Becher machte zum Abschluss deutlich, dass weiter über die Nacht in Gießen geredet werden soll. Der Anfang für einen Dialog mit dem Ziel, die Nacht nicht zum Konfliktpunkt zwischen den Bedürfnissen nach Feiern auf der einen und nach Ruhe auf der anderen Seite zu machen sei gemacht. Es gehe nun darum, das Nachtleben als soziales Stadtentwicklungs-Kapital zu befördern und sozusagen aus der Dunkelheit ins Licht der gemeinsamen Betrachtung zu heben.
In welcher Form die Interessen der Aktiven gebündelt, beraten und koordiniert werden können, sollen nun weitere Gespräche zeigen. Fest steht für den OB: »Die Gießener Nacht, die vielen Aktiven, die sie gestalten, gehört zu unseren Stärken. Wir müssen aber auch an einem Interessenausgleich arbeiten: Feiern gehört genauso zum Leben und zur Gesundheit wie nach getaner Arbeit ruhen zu können. Alles das muss in unserer Stadt möglich sein und verbunden werden.«