Was tun gegen Kinderarmut?

Grundsicherung, Sozialer Wohnungsbau und weitere Themen wurden in der Gießener Jugendwerkstatt diskutiert. Alarmierend: Die Kinderjugendarmutsquote in der Weststadt liegt bei 44 Prozent
Gießen. Auf den ersten Blick mutete es etwas merkwürdig an, wenn nicht gar zynisch: in bequemen Sesseln und Sofas sitzend sich mit dem Thema Kinderarmut zu beschäftigen. Aber nur auf den ersten Blick, der zweite offenbarte den Zusammenhang. Denn das Forum Pankratius in Gießen hatte für einen Abend unter dem Thema »Armut von Kindern und Jugendlichen - was können wir tun?« in das Kaufhaus der Jugendwerkstatt im Alten Krofdorfer Weg in Gießen geladen, genauer gesagt in dessen Möbelabteilung. Und damit in eine Institution, die versucht, die Auswüchse besagter Armut zu lindern.
Armutsquote in der Weststadt bei 44 Prozent
Zudem in einen Stadtteil der Universitätsstadt, der besonders von diesem Thema geprägt ist. Denn nach den Worten von Stadtkirchenpfarrer Dr. Gabriel Brand, dem Gastgeber und Moderator der Veranstaltung, beträgt die Kinderjugendarmutsquote in der Weststadt 44 Prozent (gefolgt von der Nordstadt mit 37 Prozent). Das passt ins Landesbild. Denn wie Dr. Melanie Hartmann von der Diakonie Hessen einführend berichtete, nimmt das Armutsrisiko in Hessen zu. Bei einer Prozentzahl von 16 bundesweit betrage es im heimischen Bundesland 18,3 Prozent, was einer Zahl von 1,15 Millionen Menschen entspricht. »Hessen rutscht ab im Länderranking«, sagte Hartmann. Besonders gefährdet seien Alleinerziehende und Familien mit drei und mehr Kindern sowie junge Menschen.
So ging es in den Räumen der Jugendwerkstatt vor allem um die Frage »Was tun?«. Eine Antwort ist mit dem Bereich der finanziellen Unterstützung verbunden. So plädierte Melanie Hartmann für eine »armutssichere Kindergrundsicherung«, wie sie derzeit von der Bundesregierung diskutiert wird. Dazu erläuterte Jugendwerkstatt-Geschäftsführerin Mirjam Aasman, dass die Regierungskoalition im Bund von zwölf Milliarden Euro Kosten ausgehe, die dafür notwendig seien, die Bertelsmann-Stiftung nach einer Studie aber einen Bedarf von 20 Milliarden sehe. Einig waren sich alle Beteiligten, dass man die Förderung vereinfachen und nicht mehr einen »Wust von 100 verschiedenen Anträgen« ausfüllen müsse, wie Hartmann ausführte.
Bei diesem Thema ist zwangsläufig die Wohnungsnot ein Thema. Gießens Stadtrat Francesco Arman bestätigte, dass der Soziale Wohnungsbau eine zentrale Aufgabe für die Kommunen sei. Derzeit verfüge die dafür zuständige Wohnbau-Gesellschaft über 7200 Wohnungen. »Das ist zu wenig!«, bekannte der Linken-Politiker und verwies auf die bestehenden Wartelisten. »Wir versuchen die Mieten niedrig zu halten«, wollte Arman auch nicht die soziale Verantwortung der Stadtverantwortlichen leugnen. Man sei allerdings auch auf die Unterstützung von Bund und Land angewiesen und warte »händeringend« darauf, dass das Land Hessen grünes Licht gebe für Zuschüsse für den Sozialen Wohnungsbau.
Synergien und Vernetzungen nutzen
Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer aber auch, dass es strukturell wichtig sei, eine möglichst gute Vernetzung herzustellen. »Vernetzung ist das A und O«, sagte Arman. Gerade im Blick auf die West- und die Nordstadt in Gießen blickte der hauptamtliche Stadtrat auf einen guten Austausch und Synergieeffekte. In der Zusammenarbeit mit Diakonie, Caritas und Arbeiterwohlfahrt sowie »vielen kleinen und wichtigen Akteuren« könnten notwendige Synergieeffekte genutzt werden. Auch für Mirjam Aasman seien für die Jugendwerkstatt Vernetzungsstrukturen eine wichtige Hilfe. Wobei sie ebenfalls anmerkte, dass es für ihre Arbeit gut wäre, wenn es »eine Sicherung für unsere Angebote« gäbe.
Und manchmal können schon kleine Gesten für Hilfe sorgen. Als Melanie Hartmann von der für viele Kinder aus finanzschwachen Familien stigmatisierenden »Schulranzenparade« in Kindergärten (»oder auch Schultütenparaden« in der Grundschule) berichtete, erschall es aus der Zuhörerschaft »Muss das denn sein?!«. Nicht nur da waren die Sessel und Sofas gar kein so bequemes Refugium.
