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Weltklasse an Ring und Stange

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Von: Albert Mehl

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Nicole Gouriya (rechts) und Oleksandra Kobzar präsentieren sich im Pole-Studio der TSG Blau-Gold Gießen als Könnerinnen des Aerial Hoop. Simon Koch konnte beim Fototermin nicht anwesend sein. Foto: Mehl © Mehl

Nicole Gouriya, Oleksandra Kobzar und Simon Koch finden beim TSG Blau-Gold in Gießen ihre Passion

Gießen. Es liegt auf der Hand. Wenn ein Sportverein in Gießen die Mitgliederzahl von 2000 überschreitet und ein Angebot von rund 50 Sportdisziplinen macht, von Aerial Hoop und Aerobic bis Yoga und Zumba, dann müssen sich in seinen Reihen viele interessante Menschen tummeln. Zumal diese bei der TSG Blau-Gold Gießen aus 70 Nationen stammen. Genügend Personen unterschiedlicher Couleur, deren Biografien vorzustellen sich lohnt.

Nachfolgend sollen zwei junge Frauen und ein Mann zu Wort kommen, die noch dazu in ihrer sportlichen Disziplin zur Weltspitze gehören: Nicole Gouriya, Oleksandra Kobzar und Simon Koch. Eine ausgewiesene Schlammbeiserin, eine Geflüchtete aus der Ukraine und ein beruflich sich nach Berlin verändernder Mittelhesse. Sie eint, dass sie sich dem Pole-Dance-Sport und dem Aerial Hoop verschrieben haben. Dem Tanz an der Stange und den Übungen am Ring.

Das Besondere ihrer Sportart sei die Verbindung von Kraft-Ausdauer, Balance und Flexibilität mit kreativen Momenten, wobei die Vorführungen auch noch von Musik begleitet würden, schwärmt die Ur-Gießenerin Nicole Gouriya, die sich wie ihre Vereinskollegin und zeitweise sportliche Partnerin Oleksandra Kobzar in den vergangenen Jahren mehr und mehr dem zwischen 80 und 100 Zentimeter breiten unter der Decke hängenden Ring zugewandt hat. »Das ist eine ganz spannende Sportart«, stimmt Simon Koch, einer von bislang nur wenigen Männern beim Pole Dance, in das Loblied ein. Es sei eine »Ganzkörper-Performance«, bei der man versuche, es mit tänzerischen Elementen leicht aussehen zu lassen.

Der Ruch des Rotlicht-Milieus haftet Pole Dance (zumindest in heimischen Gefilden) längst nicht mehr an. Wenn man so will, hat die TSG Blau-Gold den Tanz an der Stange in Mittelhessen salonfähig gemacht. Fast 600 Mitglieder in dieser Abteilung haben dazu geführt, dass der Mehrspartenverein um den Vorsitzenden Bernhard Zirkler inzwischen ein reines Pole-Studio in der Marburger Straße eingerichtet hat. Und um Aerial-Hoop-Vorführungen zu sehen, ist längst nicht mehr der Besuch eines Zirkus oder Varietés notwendig. Auch hier ist Blau-Gold mitverantwortlich, dass sich die Übungen am Ring längst im Sport etabliert haben. In Gießen sind es viele junge Mädchen (auch aus dem studentischen Milieu) und einige junge Männer, die sich diesen beiden Varianten als wöchentliche Fitness-Einheit zugewandt haben. Denn Pole Dance und Aerial Hoop eignen sich einerseits als Breitensport, können aber auch auf verschiedenen Ebenen als Wettkampfsport betrieben werden. Wofür das hier vorgestellte Trio beispielhaft steht.

Die 25 Jahre alte BWL-Studentin Gouriya fing 2019 mit dem Sammeln von sportlichen Meriten an, als sie bei der offenen Europameisterschaft den Meistertitel im Einzel und den zweiten Platz im Double holte. Im Vorjahr folgten bei der offiziellen Weltmeisterschaft Gold in den beiden Disziplinen Sport (wo vorgegebene Figuren präsentiert werden) und Artistik, was quasi die Kür-Seite der Sportart darstellt. Die 18-jährige Kobzar, die im April aus der Ukraine geflüchtet ist, hat bereits etliche nationale Titel gesammelt. Mit einer Ausnahmegenehmigung des deutschen Polesport-Verbands darf sie nun bei den Deutschen Meisterschaften starten, um sich für die WM zu qualifizieren. Die sind das nächste große Ziel des Duos und finden vom 27. bis 30. Oktober in der Schweiz in Lausanne statt. Am Rande: Insgesamt sind jetzt 70 Ukrainerinnen und Ukrainer sportlich in der TSG aktiv.

Der aus Laubach stammende Koch lässt seine Wettkampfkarriere derzeit ruhen, er zieht gerade von Gießen nach Berlin, wo er sich nach Abschluss eines Psychologie-Studiums beruflich etablieren will. Bei dem 26-Jährigen fingen die großen sportlichen Meriten 2019 mit dem DM-Titel an und schlossen (vorerst) 2021 mit der Weltmeisterschaft im Double und dem zweiten Rang in der Einzelkonkurrenz ab.

Interessant sind die Wege des Trios zum Polesport. Simon Koch hatte sich schon früh dem Tanzen verschrieben, vornehmlich in Tanzschulen in Hungen und Grünberg. »Als ich zum Studium nach Gießen umgezogen bin, habe ich etwas Neues gesucht«, erzählt er. Und wurde bei der TSG Blau-Gold fündig. Oleksandra Kobzar, die aus der 260 000-Einwohnerstadt Sumy im Nordosten der Ukraine stammt und inzwischen in Nidda bei einer Familie untergebracht ist, konzentrierte sich schon früh auf Aerial Hoop und absolvierte im Heimatland bis zu 36 Wochenstunden Training. »Derzeit kann ich nicht so viel trainieren«, muss sie vor allem der zeitraubenden Anreise per Bus und Zug nach Gießen Tribut zollen. Aber dreimal die Woche im Pole Dance-Studio ist das aktuelle Pensum, dazu kämen noch Sporteinheiten in Nidda.

Nicole Gouriya begeisterte sich schon auf Kindesbeinen für das Stadttheater. Nach ersten Versuchen auf der Bühne kam sie über einen Workshop zum Ballett, was sie dann intensiver betrieb und zur TSG führte. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass sie (genauso wie bislang Simon Koch) auch als Übungsleiterin im Verein aktiv ist. Was dann zur kuriosen Situation führt, dass Nicole Gouriya für Oleksandra Kobzar sowohl Trainerin als auch Trainingspartnerin, bei Wettkämpfen Konkurrentin und in Bälde (bei der offenen EM in Windeck bei Siegen) Wettkampfpartnerin im Double-Wettbewerb ist.

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