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Weltschmerz und Melancholie

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Gießen (rfi). Einer der anrührendsten Liederzyklen der Musikgeschichte ist Franz Schuberts »Winterreise«, die er zu Texten des romantischen Dichters Wilhelm Müller komponiert hat. Im Gegensatz zur ebenfalls aus dessen Feder stammenden »Schöner Müllerin« erzählt die »Winterreise« keine Geschichte, sondern schildert die Wanderung eines Gesellen durch eine erstarrte Winterlandschaft.

Unterbrochen von lyrischen Reflexionen zu vergangener Liebe folgt ein Naturbild dem anderen.

Im jüngsten Feierabendkonzert in der Johanneskirche interpretierten Bariton Tomi Wendt und Christoph Koerber am Klavier 11 der 24 Lieder dieses Zyklus’. Wendt, Ensemble-Mitglied des Stadttheaters, sang mit sonorer, warmer Baritonstimme, ebenso mit viel Sinn für die gelegentlichen dramatischen Ausbrüche. Koerber begleitete ihn mit differenzierter Anschlagstechnik.

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Die beiden Künstler erzeugten einen packenden, homogenen Duoklang. Schon im ersten Lied »Gute Nacht« gefiel die klangschöne Herangehensweise, weil sie mit Sinn für die feinen Nuancen des variierten Strophenliedes agierten. Den melancholischen Grundton des Zyklus’, der sich schon im ersten Lied in voller Ausprägung findet, brachten die Interpreten anrührend zum Klingen. Besonders ergreifend gelang die Entrückung nach Dur in der letzten Strophe.

Einen dramatischen Akzent setzte »Die Wetterfahne«. Hier wechselten rezitativische mit ariosen Abschnitten - ein Effekt, den Tomi Wendt klangschön herausarbeitete. In »Gefrorene Tränen« spiegelt die Erstarrung der Winterlandschaft den Affekt des Wanderers. Gesteigert erscheint diese Metaphorik noch in »Auf dem Flusse«. Besonders gut gelang den beiden Musikern hier die große Steigerung gegen Ende des Liedes.

In »Frühlingstraum« bezaubert die Dialektik mit ihrer Gegenüberstellung des hellen Traums und der miserablen Wirklichkeit das zahlreiche Publikum. Das irre Kreisen im Lied »Die Krähe« ist Widerschein der nackten Verzweiflung des Wanderers. »Letzte Hoffnung« sprengt fast die Grenzen der Tonalität. »Mut« bringt schließlich ein letztes, nihilistisches Aufbegehren, um im letzten Lied »Der Leiermann« in Resignation zu versinken. Abschließend ertönte die klangvolle Arie »Schlummert ein, ihr matten Augen« von Johann Sebastian Bach. Das zahlreiche Publikum feierte das Duo mit langanhaltendem Applaus.

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