»Wenig Eingriffsmöglichkeiten«

Zwei Wochen nach den Ausschreitungen an den Hessenhalllen in Gießen diskutiert die Stadtpolitik über Konsequenzen.
Gießen. Ohne Gründe zu nennen, hat das Konsulat von Eritrea am Mittwochabend die für Samstag geplante Kulturveranstaltung abgesagt. Rund zwei Wochen nach den gewalttätigen Eskalationen an den Hessenhallen ist das Thema damit zumindest aus dem Stadtbild vorläufig verschwunden. Nicht aber aus der Stadtpolitik. »Gewalttätige Übergriffe gegen Personen und Sachen, um eine ablehnende Haltung gegen politische Regime zu zeigen, stellen Straftaten dar und sind als solche zu verfolgen«, bewertet die Koalition aus Grünen, SPD und »Gießener Linke« die Übergriffe am Stadtfestsamstag. Vor allem die Opposition befasst sich immer wieder mit der Rolle des Stadtverordneten Klaus-Dieter Grothe von den Grünen. Er hatte in der Nacht nach den Ausschreitungen an den Hessenhallen ein Posting veröffentlicht, es zwischenzeitlich aber wieder gelöscht. »Sein ursprünglicher Facebook-Kommentar hat schweren Schaden für die Glaubwürdigkeit vor allem der Grünen und der Koalition, aber auch der Stadtverordnetenversammlung herbeigeführt«, meint Lutz Hiestermann. Grothe habe - ob bewusst oder im »Überschwang der Gefühle« sei dabei egal - den Einsatz massiver Gewalt als Mittel zum Zweck legitimiert. »Damit hat er eine rote Linie überschritten, die er niemals hätte überschreiten dürfen«, wertet der Vorsitzende der Fraktionsgemeinschaft Gigg+Volt.
Koalition begrüßt angekündigte Gespräche
Am Montag nach den Ausschreitungen vom Stadtfestsamstag zieht die Polizei Bilanz. Neben hohem Sachschaden zählt sie 33 Verletzte nach dem Angriff auf die Hessenhallen und das dort geplante Festival, das die Ordnungshüter aus Sicherheitsgründen absagen. Die Vorbereitungen der Einsatzkräfte laufen bereits wieder, als das Konsulat von Eritrea die an diesem Samstag geplante Nachholveranstaltung kurzerhand absagt. Seit Jahren feiert das Regime regelmäßig in den Hessenhallen. Wie künftig damit umgehen? Die Koalition verweist darauf, dass es sich bei der »Messe Gießen« um eine privat organisierte Gesellschaft handelt, begrüßt aber gleichzeitig die »vom Magistrat angekündigten Gespräche mit der Messe«. Die Stadt habe keine gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Entscheidungen des Unternehmens. »Auch Veranstaltungen in geschlossenen, privaten Räumen wie jenen in der ›Messe Gießen‹ bedürfen keiner Genehmigung durch die Stadt, diese kann lediglich rahmende Auflagen tätigen. Dadurch bestehen rechtlich wenig Eingriffsmöglichkeiten in die Organisation und Durchführung derartiger Veranstaltungen«, teilen die Partner mit. Die CDU beurteilt die Lage ähnlich. »Allgemein kann eine solche Veranstaltung, wenn es sich im jeweiligen Fall um eine Versammlung handelt, wohl nur dann verhindert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine erhebliche Gefährdungs- und Gewaltlage durch Auseinandersetzungen ernsthaft droht und dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet wird«, ergänzt Fraktionsvorsitzender Klaus Peter Möller. So lange eine Gruppierung oder Ähnliches in Deutschland nicht verboten sei, gewähre ihr das Grundgesetz auch die Möglichkeit, sich zu versammeln.
Auch die Freien Wähler »halten ein offizielles Verbot der Veranstaltung durch die Stadt für nicht durchführbar. Der ›Messe Gießen‹ wäre zu empfehlen, auf eine Vermietung an Gruppierungen, die demokratiefeindlich sind, zu verzichten«, so Fraktionsvorsitzender Heiner Geißler. »Gewaltbehaftete Konflikte anderer Länder sind nicht auf deutschem Boden auszutragen! Gießen kann und darf nicht Schauplatz von Auseinandersetzungen jedweder Couleur werden«, so AfD-Fraktionsvorsitzende Sandra Weegels.
»Rein politisch motivierte Forderung«
Zum eigenen Mitglied Klaus-Dieter Grothe äußert sich die Koalition nicht. Geißler allerdings schon: »Klaus-Dieter Grothe kennen wir seit Jahren als sachorientierten und in seinen Themengebieten auch als kompetenten Stadtverordneten der Grünen in Gießen. Zweifelsohne steht fest, dass seine Fach- und Sachkenntnis zu den Vorgängen in Eritrea weit über den Kenntnissen eines jeden anderen Stadtverordneten liegt. Sein jahrzehntelanger Einsatz für Eritrea lässt ihn natürlich auch emotional nicht los, und dann schreibt man auch mal einen Post in den Sozialen Medien, den man besser nicht geschrieben hätte. Dieser Post war unpassend und aus diesem Grund hat er ihn auch gelöscht.« Wegen eines falschen Posts in dieser Dimension Grothes Rückritt zu verlangen, hielten die Freien Wähler für absolut überzogen. Geißler spricht von einer »rein politisch motivierte Schaufensterforderung« von CDU und FDP. Hintergrund ist ein Posting des Grünen-Stadtverordneten, in dem er die Absage der Veranstaltung des eritreischen Konsulates nach dem »heftigen Widerstand der Opposition« als »Sieg für Gerechtigkeit und Demokratie« bezeichnet. Im Gespräch mit dieser Zeitung hatte der Grüne von »emotionalem Überschwang« gesprochen und das Posting bereits einen Tag nach der Veranstaltung wieder gelöscht. Wie Gigg+Volt, CDU und FDP spricht sich auch die AfD für einen Rücktritt Grothes aus.
Andrea Junge und Darwin Walter von der »Partei« gehen gewohnt eigene Wege. Bezüglich des Stadtfestsamstags habe Grothe gegenüber »irgendeiner Zeitung« behauptet, es seien keine weiteren Stadtverordneten anwesend gewesen. Jedoch habe Stadtverordneter Walter durch die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn 20 Minuten an der Versammlung am Bahnhof teilnehmen können, nicht jedoch am Demozug. »Grothe machte nicht den Eindruck, sich heute prügeln zu wollen.«, so Walter. Seitens der Ordnungs-/Polizeibehörden und Versammlungsleitung sei einiges schiefgelaufen. Sowohl in der Planung als auch während der Durchführung und der »Aftershow-Party«. Dies bedürfe der Aufarbeitung. »Einen Rücktritt Grothes halten wir zwar für angemessen, jedoch bieten wir ihm auch politisches Asyl in einer möglichen FraGtion an«, beteuert die Stadtverordnete Andrea Junge von der »Partei« in einer Mitteilung.