Wenig Gäste, viele Sorgen

Bei der ersten Anliegerversammlung zum Verkehrsversuch gab es Irritation über die Einladepraxis der Stadt.
Gießen . Seit Jahren schon wird diskutiert, nun sind es nur noch wenige Wochen, ehe der Verkehrsversuch auf dem Anlagenring starten soll. Wie groß die Unsicherheit bei vielen Gießenern aber noch immer ist, zeigte sich bei der ersten von drei Anliegerversammlungen, zu der die Stadt für Montagabend eingeladen hatte. Da ist etwa der Hotelbetreiber, der sich Sorgen macht, dass seine Gäste nicht mehr auf den Parkplatz kommen. Oder der Arbeitnehmer, der von der Ecke Frankfurter Straße/Südanlage aus die Kliniken der Stadt beliefert - und auf den nun ein Umweg zukommt, wenn er das Evangelische Krankenhaus ansteuert. Oder die Frau, die sich ärgert, dass sie nun künftig »noch eine halbe Stunde früher aufstehen muss, um zur Arbeit zu kommen«.
»Wir werden nicht über Pro und Contra des Verkehrsversuchs diskutieren, sondern über die Sorgen und Ängste der Anlieger sprechen«, betonte Michael Bassemir vom städtischen Büro Bürgerbeteiligung, der die Veranstaltung moderierte. Daher habe man auch explizit nur Anwohner des Anlagenrings eingeladen und die Veranstaltungen im Vorfeld nicht breit angekündigt. Und genau dieses Vorgehen sorgte für Kritik: Gleich mehrfach beklagten sich Anwesende, dass sie nur durch Zufall von dem Termin erfahren hätten.
Pkw auf Umwegen
Die drei Veranstaltungen widmen sich jeweils einem anderen Teilabschnitt des Anlagenrings, zum Auftakt stand der Bereich zwischen dem Berliner Platz und der Gabelsbergerstraße im Mittelpunkt. Zwar konnte Bürgermeister und Verkehrsdezernent Alexander Wright (Grüne) eine der größten Sorgen - die Erreichbarkeit der Grundstücke - nehmen: »Alle Anlieger werden auch weiterhin auf ihre Grundstücke kommen.« Einstellen müssen sich viele autofahrende Gießener aber auf Umwege, die unterschiedlich lang ausfallen.
Wer etwa von der Gabelsberger Straße nach rechts auf die Westanlage abbiegt und dort seinen Stellplatz ansteuert, muss bei der späteren Ausfahrt aufgrund der künftigen Einbahnstraßenregelung entweder eine Extrarunde über den Anlagenring drehen, um wieder zur Gabelsberger Straße zu kommen oder sich eine Alternativroute über Seitenstraßen suchen. »Das ist Verkehrsberuhigung, ja?«, kritisierte ein Zuhörer und auch andere Anwesende befürchteten längere Wege und mehr Abgase.
Die Stadt dagegen erwartet rund 20 Prozent weniger Verkehr auf dem Anlagenring und eine Verlagerung auf die Autobahn. Wer etwa von Lollar nach Kleinlinden wolle, werde künftig eher über den Gießener Ring als durch die Innenstadt fahren, prognostizierte der Bürgermeister. Auch der Parksuchverkehr soll abnehmen, da Besucher aus dem Umland direkt vom Anlagenring in die Parkhäuser geleitet werden sollen. Und was ist mit den Strecken innerhalb Gießens? »Ich sage nicht, dass es nicht vereinzelt Mehrfahrten geben wird«, räumte Wright ein. Berechnungen würden von zwei Prozent mehr Kilometern ausgehen.
»Es fährt so gut wie kein Fahrradfahrer auf dem Anlagenring. Wenn ich mal einen sehe, kann ich das ins Tagebuch schreiben«, stellte eine Frau fest. Das, so der Verkehrsdezernent, liege jedoch vor allem daran, dass sich Radler dort nicht sicher fühlten. Durch den Versuch erwarte man zudem eine Entlastung für Fußgänger, da es keinen Grund mehr für Radler gebe, auf Gehwegen und in der Fußgängerzone unterwegs zu sein.
Ein Chaos durch fehlerhafte Anweisungen in Navigationsprogrammen erwartet Wright nicht. Durch künstliche Intelligenz würden Änderungen teils automatisch eingepflegt, teils weise die Stadt auch selbst darauf hin. Und wenn es doch nicht klappt? Theoretisch ist ein Abbruch des Versuchs vor Ende der geplanten einjährigen Laufzeit möglich. »Wenn wir merken, es funktioniert nicht so, wie wir es vorgestellt haben - und wenn auch Anpassungen nichts bringen -, dann wird zurückgebaut.« Einzelne Staus seien jedoch kein Grund für einen Abbruch.
Rund 1200 Einladungen hat die Stadt nach eigener Aussage für die drei Termine verteilt. Beim Auftakt im Schuhhaus Darré blieben jedoch viele Plätze frei, rund 70 Besucher waren gekommen. Gastgeber Heinz-Jörg Ebert verwies auf die Sorgen der Einzelhändler und bat um Informationen auch für das Umland: »Wir müssen es den Menschen so einfach wie möglich machen, nach Gießen zu kommen.« Er sei nach wie vor ein Skeptiker des Verkehrsversuchs. »Aber es könnte funktionieren.«