»Wer einmal lügt...«

»Was uns Mut macht«: In der kleinen Anzeiger-Serie kommt dieses Mal THM-Präsident Matthias Willems zu Wort. Er hält Populisten für gescheitert.
Gießen. »Kannst du mir etwas sagen, was irgendwie Mut macht?« Was für eine Frage! Was für eine Frage nach einem Jahr, das von Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie und Klimakatastrophe geprägt war. Was für eine gute, schwere, ja schier nicht zu beantwortende Frage, die mir vor ein paar Wochen eine gute Freundin stellte. Und ich muss gestehen: Mir fiel außer einem Blick auf längst vergangene Zeiten, als die Menschen noch dachten, ihre Welt würde untergehen, tatsächlich nichts ein. Nichts, was Mut macht, dass all die Probleme der Menschheit sich lösen lassen. Also haben wir bei Experten nachgefragt und um Hilfe gebeten: Schreiben Sie uns etwas, was Mut für die Zukunft macht! Und tatsächlich haben sich mehrere heimische Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur an diesem - nennen wir es - Gedankenexperiment beteiligt. Unsere Serie »Was uns Mut macht« setzen wir mit dem Beitrag des Präsidenten der Technischen Hochschule Mittelhessen, Prof. Matthias Willems, fort.
1. Warum endet der Ukraine-Krieg nicht in einer Katastrophe?
Der Ukraine-Krieg ist bereits eine Katastrophe, nämlich für die Menschen in der Ukraine. Für Familien, die Angehörige verloren haben - sei es durch Bomben, durch Kampfeinsätze oder durch Gräueltaten der russischen Besatzungstruppen. Für Menschen, deren Existenzgrundlage vernichtet wurde, die versehrt wurden, die sich durch diesen dunklen Winter frieren und hungern müssen. Mut und Entschlossenheit der ukrainischen Bevölkerung können uns aber ein gutes Beispiel sein. Es ist wahr: Europa und seine Werte werden gerade am Dnepr verteidigt. Europa und die USA leisten ihren Teil: Mit humanitären wie mit Waffenlieferungen, indem sie Flüchtende aufnehmen, durch Sanktionen gegen die Aggressoren. Der Krieg wird so lange dauern, wie Putin will. Und er wird noch einige Katastrophen mit sich bringen. Die wahre Katastrophe für die Ukraine, für Europa und die Weltordnung aber wäre, wenn Russland diesen Krieg gewinnt. Weshalb es ihn nicht gewinnen kann. Und nicht wird.
2. Warum wird Putin insgesamt politisch scheitern?
Putin ist schon gescheitert. Dafür genügt ein Blick auf Abstimmungsergebnisse etwa in der Uno-Vollversammlung. Sein Land ist isoliert, die von westlichen Technologien abhängige Wirtschaft hängt am Tropf der noch sprudelnden Einnahmen durch fossile Energien. Die wird der Westen - auch auf lange Sicht - von Russland aber nur noch in geringem Maße beziehen. Russland ist abhängig vom Wohlwollen anderer autokratischer Regime, allen voran China. Für China aber ist Russland allenfalls Mittel zu eigenen Zwecken. Putin hat seinem Reich bereits einen Bärendienst geleistet, kann es aber nicht zugeben.
3. Warum wird die Ära der Rechtspopulisten in aller Welt nur von kurzer Dauer sein?
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Und wer ständig die Alarmglocken schrillt, den ignoriert man. Der Rechtspopulismus lebt von Aufmerksamkeit, Überspitzung, Alarmismus und Ausgrenzung. Und von fremdem Geld. Von all dem braucht der Rechtspopulismus immer mehr, um nicht zu implodieren. Gestartet ist er bei Euro-Skepsis und Geflüchteten, angelangt inzwischen bei der »Neuen Weltordnung«, »Millionen Impftoten«, »indigenen Germaniten« und »kinderbluttrinkenden Eliten«. Das alles ist immer radikaler und deshalb auch immer gefährlicher. Aber eben auch immer weniger anschlussfähig. Und diskursfähig schon gar nicht.
4. Warum hat die Demokratie eine Zukunft?
Die Demokratie ist weltweit lebendig und vital. Die Midterms in den USA haben dem Trumpismus einen Dämpfer verpasst. Jair Bolsonaro hat in Brasilien die Wahl gegen Lula da Silva verloren. In Deutschland wurde ein Staatsstreich verhindert, in der EU die korrupte Einflussnahme einer Golf-Monarchie unterbunden. Russland fällt als Antagonist demokratischer Staaten und Financier radikaler Strömungen in Demokratien künftig wohl aus. China hat ganz eigene Probleme und mit Taiwan und Südkorea zwei leuchtende Beispiele für gewachsene Demokratien direkt vor der Haustür. Und die mutigen, bewundernswerten Menschen im Iran zeigen der ganzen Welt, dass Widerstand auch gegen das brutalste Unterdrückungsregime möglich ist. Ich bin überzeugt, dass sich auch dieses Land wandeln wird. Die Demokratie weltweit hat eine schwere Zeit durchlebt und beeindruckende Resilienz bewiesen.
5. Was werden die Menschen Hilfreiches aus der Corona-Zeit lernen?
Hoffentlich lernen wir, Positives wieder mehr zu schätzen. Während all der Corona-Monate gab es nie eine bedrohliche Mangellage - und selbst jetzt nicht beim Gas. Es gab und gibt politische Auseinandersetzungen, auch starken Protest. Aber keine politische Instabilität. Trotz vieler Probleme ist das Gesundheitssystem nicht kollabiert. Und deutscher Forschergeist hat den ersten mRNA-Impfstoff gegen Corona Realität werden lassen. Wir leben in einem soliden, einem guten Land, das darf gerne geschätzt werden.
6. Warum werden wir die Klimakatastrophe abwenden?
Weil wir es müssen. Ich bin überzeugt, dass wir die Kurve kriegen, wenn wohl auch später als möglich. Dabei können innovative Technologien helfen. Wir an der THM forschen unter anderem daran, erneuerbare Energien besser nutz- und speicherbar zu machen. Hochkomplexe Technologien oder Speichermöglichkeiten für Kohlendioxid sind - lange noch nicht marktreife - Bausteine für eine energieneutrale Zukunft. Aber sie verleiten dazu, bequem zu bleiben. Deshalb müssen wir jetzt zwei Dinge tun: Potenziale für erneuerbare Energien nutzen. Und unser Verhalten ändern. Letzteres allein kann übrigens dazu beitragen, unsere vielen anderen Umweltprobleme zu lösen - vom Plastikmüll über Eintragungen ins Grundwasser bis zum Raubbau an unseren Ressourcen.
Prof. Matthias Willems ist ein deutscher Medizininformatiker. Der 59-Jährige ist Hochschullehrer an der Technischen Hochschule Mittelhessen und seit 1. April 2016 deren Präsident. Nach dem Abitur in Bad Kreuznach studierte Willems an der Universität Heidelberg und der FH Heilbronn Medizinische Informatik und schloss mit der Diplomprüfung ab. An der Universität Ulm promovierte er 1991. Von 1991 bis 2002 arbeitete Willems für verschiedene Softwareunternehmen. 2003 folgte er einer Berufung als Professor für Praktische Informatik an die Fachhochschule Gießen-Friedberg (heute THM Mittelhessen).
