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Wer hoppelt denn da?

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Viele Wildkaninchen sind in Gießen zuhause. Symbolfoto: dpa © DPA Deutsche Presseagentur

Wildkaninchen und Feldhasen fühlen sich auch in Gießen wohl - nicht nur zu Ostern. Wo und wie sie leben, erklärt der Wildtierforscher Johannes Lang von der Justus-Liebig-Universität.

Gießen. Besonders Kinder werden sich dieser Tage freuen, wenn plötzlich ein Langohr rasend schnell an ihnen vorbei hoppelt. Schließlich kann das ja eigentlich nur der Osterhase sein. Oder eben einer seiner flinken Helfer. Vielleicht waren sie gerade auf Erkundungstour, um knifflige Eierverstecke ausfindig zu machen? Dass die Tiere auch in Gießen den Weg von Menschen kreuzen, ist nicht selten. Allerdings - Kinder hören bitte mal kurz weg - handelt es sich bei dem süßen Mümmelmann natürlich nicht um den Osterhasen, sondern in der Regel um Wildkaninchen. Und die kommen nicht zum Eier verteilen in die Stadt, sondern weil es ihnen hier mangels Feinden sehr gut gefällt. Vereinzelt sind auch Feldhasen anzutreffen, biologisch gesehen haben sie mit den Kaninchen aber eher wenig gemein. »Das ist wie Äpfel mit Birnen vergleichen«, sagt Diplom-Biologe Johannes Lang, der an der Justus-Liebig-Universität (JLU) die Arbeitsgruppe Wildtierforschung leitet. Regelmäßig zur Osterzeit wundert er sich über die zahlreich veröffentlichten Fotos von eierbringenden Kaninchen und folgert: »Es gibt viele Leute, die den Unterschied zu Hasen nicht kennen.«

Auf die Ohrenlänge kommt es an

Zwar gehören sowohl Feldhasen als auch Wildkaninchen zu der großen Übergruppe der Hasenartigen, sind ansonsten allerdings nicht näher miteinander verwandt. Dabei ist ihr Aussehen, bezogen auf den Körperbau, recht ähnlich: Große Ohren, kräftige Hinterbeine und Hoppeln als Fortbewegungsart. Doch schon die Fellfarbe liefert ein Indiz, mit wem man es zu tun hat. »Wildkaninchen sind eher grau mit einem rötlichen Fleck im Nacken, Feldhasen sind braun. Die Unterwolle ist bei einem Hasen weiß, beim Kaninchen grau«, fasst Johannes Lang zusammen. Und auch auf die Ohrenlänge kommt es an. Der Hase liegt hier klar vorne. »Die Ohren sind länger als der Kopf.« Insbesondere in ihrer Lebensweise sind die beiden Arten sehr unterschiedlich. Während die Feldhasen ganzjährig oberirdisch leben und meist als Einzelgänger unterwegs sind, buddeln die in Clans auftretenden Kaninchen unterirdische Bauten, wo sie letztlich auch ihre Jungen bekommen. Die Kleinen brauchen nach der Geburt intensive Fürsorge, kommen sie doch blind und nackt zur Welt. Feldhasen-Babys sind hingegen schon weit entwickelt und klassische Nestflüchter. »Feldhasen-Mütter sind Rabenmütter«, verdeutlicht Lang.

Für seine Diplomarbeit hat sich der Wildtierbiologe bereits vor rund 25 Jahren mit dem Aufkommen von Wildkaninchen in Gießen beschäftigt und beobachtete dafür unter anderem die Verhaltensweise der auf dem Campus Rechtswissenschaft lebenden Tiere. Denen geht es in der Stadt richtig gut. »Es gibt viel weniger Feinde«, erklärt Lang. »Das größte Risiko in der Stadt ist es, überfahren zu werden. Die Vorteile überwiegen deutlich, sonst würden sich die Tiere hier nicht halten.« Zwar schaue in grünen Randgebieten auch mal ein Fuchs oder Iltis vorbei, »aber der Druck ist für die Kaninchen bei Weitem nicht so groß wie auf dem Land«. Hauskatzen seien vor diesem Hintergrund schon eher eine Gefahr, vor allem für die Jungtiere. Johannes Lang konnte allerdings feststellen, dass die Kaninchen schnell wissen, beim Besuch welcher Samtpfote sie lieber Reißaus nehmen sollten.

In den vergangenen Jahren sind auch Feldhasen immer mal wieder in Städten gesichtet worden. »Mit ihnen ist eher dort zu rechnen, wo sich Felder und Wälder anschließen.« Kaninchen-Hotspots sind generell in größeren Grünanlagen zu finden. »Sie brauchen ungestörte Verstecke und Bereiche, wo sie ihren Bau anlegen können, also Hecken oder Bodendecker. Daran anschließend kurzrasige Gegenden, wo sie Futter finden«, sagt Johannes Lang. Wie viele wilde Langohren tatsächlich in Gießen leben, lässt sich nicht sicher beziffern. Der Feldhase sei in der Stadt eher »eine Ausnahmeerscheinung«. Die AG Wildtierforschung ist jedoch in Hessen dafür zuständig, Jäger bei der Erfassung des Feldhasenvorkommens zu unterstützen. Aktuellen Zählungen zufolge gibt es hessenweit mindestens 23 000 dieser Tiere, das macht je nach Jahreszeit zwischen 14 und 18 Hasen pro Hektar. Da allerdings vorranging in Gegenden mit überdurchschnittlichem Aufkommen Zahlen erhoben werden, ist eine Interpretation schwierig. »Das sind längst nicht alle Feldhasen in Hessen, es gibt viel, viel mehr«, macht Johannes Lang deutlich.

Vorsicht bei Tieren, die nicht flüchten

Forscher haben sich in der Vergangenheit vor allem um den Feldhasen Sorgen gemacht. Im Vergleich zu den 1950er und 60er Jahren ist der Bestand deutlich zurückgegangen. Inzwischen stagnieren die Zahlen deutschlandweit aber »auf stabilem Niveau«, wie der Diplom-Biologe ausführt. Ganz anders stellt sich die Situation bei den Wildkaninchen dar. Sie waren eine Zeitlang sogar »als Schädlinge verschrien«. Da sie lokal in großen Gruppen auftreten, können sie zum Beispiel Schäden in der Landwirtschaft verursachen oder durch ihre Wühltätigkeit Bahndämme zerstören. In den vergangenen Jahren geht es den Tieren aber »deutlich schlechter«. Schuld ist zum Beispiel eine Viruserkrankung, die zu einer starken Anschwellung der Augen und bei etlichen Tieren letztlich zum Tod führt. »In vielen Gegenden verschwinden Kaninchen aus der freien Landschaft.« Johannes Lang warnt vor diesem Hintergrund: »Werden Hasen oder Kaninchen angetroffen, die nicht flüchten und die man anfassen könnte, ist größte Vorsicht geboten.« Denn die Tiere könnten unter Krankheiten leiden, die auf den Menschen oder Haustiere übertragbar sind. Auch wenn das Langohr noch so niedlich aussieht, heißt es also: Finger weg - und den Hund auf Abstand halten. Den erkrankten oder verletzten Tieren selbst würde man mit dem Einfangen ohnehin keinen Gefallen tun. »Vom Grund ihres Wesens sind Hasenartige Beutetiere, also Opfer. Sie sind immer auf der Flucht und versuchen panisch, wegzukommen. So ein Tier in eine Kiste zu sperren, ist das Schlimmste, was man machen kann.«

Auch in der Stadt sind Wildkaninchen meist im Sprint unterwegs. Wer - nicht nur beim Osterspaziergang - eines entdeckt, sollte sich freuen, dass es dem Tier offenbar gut geht und keinesfalls hinterherjagen. Kindern kann man dann wunderbar erzählen, dass es der Osterhase nunmal sehr eilig hat. Auch wenn er genau genommen ein Osterkaninchen ist.

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Schnell weg: Der Feldhase möchte auch an Ostern mit Menschen lieber nichts zu tun haben. Symbolfoto: dpa © DPA Deutsche Presseagentur

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