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Werte verteidigen

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Kein Krieg: Teilnehmer einer Friedensdemonstration am Rosenmontag tragen die ukrainischen Nationalfarben und Schilder mit der Aufschrift »No War« und erklären sich mit dem Land und seinen Menschen solidarisch - so auch das Gießener Zentrum Östliches Europa. © Oliver Berg/dpa

Das Gießener Zentrum Östliches Europa unterstützt die ukrainischen Kollegen. »Wir erklären unsere tief empfundene Solidarität mit unseren Partnern«, so Prof. Bömdelburg.

Gießen. Der russische Einmarsch in der Ukraine beschäftigt die Gießener Hochschulwelt. »Als Gießener Zentrum Östliches Europa (GiZo) verurteilen wir diese Aggression und arbeiten mit unseren Freunden im östlichen Europa an sachlicher Information und Aufklärung über die Ereignisse. Wir werden unsere europäischen Werte wie Demokratie, Freiheit und Gleichheit verteidigen und erklären unsere tief empfundene Solidarität mit unserem Partner, der Nationalen Universität »Kyiv-Mohyla-Akademie« in Kiev.«

Diese Stellungnahme des GiZo ist für ihren stellvertretenden Direktor, Prof. Hans-Jürgen Bömelburg, mehr als nur ein klares Bekenntnis von Solidarität mit den ukrainischen Kolleginnen und Kollegen. »Das ist ein Konflikt mit unabsehbaren Folgen. Unsere wissenschaftlichen Kooperationspartner versuchen das Land zu verlassen.«

Gastdozenten, die in Gießen gewirkt hätten, seien nun auf der Flucht in Richtung Westen. Mit der Mohyla-Akademie pflege die Hochschule eine intensive Partnerschaft, die die letzten acht Jahre eine intensive Ebene erreicht hatte. »Wir hatten über viele Jahre hinweg eine ukrainische Gastdozentur in einzelnen Fächern wie Politikwissenschaft, Slawistik und Osteuropäische Geschichte und haben dort versucht, Themen der ukrainischen Geschichte unseren Studierenden nahezubringen«. Darüber hinaus, so Bömelburg, hatte es intensive Studierendenaustausche gegeben. »Gießener Studierende waren in Kiew an der Universität und haben teilweise ein Gastsemester oder mehrwöchige Aufenthalte verbracht«. Seitens der Mohyla-Akademie erreichte das Gießener Institut die Bitte, sich um eine internationale Solidarität mit der Universität zu bemühen. Eine Bitte, der das GiZo gerne nachkommt, wie die verantwortlichen Professoren betonen.

Bömelburg, der sich auf die Geschichte Polens spezialisiert hat, informiert sich derzeit auch durch polnische Medien, die die Lage bewerteten. »Die polnische Berichterstattung ist deutlich intensiver und es gibt dort innerhalb der Bevölkerung und der Regierung eine erheblich größere Solidarität mit der Ukraine. Die deutsche Seite wird da durchaus kritisch wahrgenommen. Ihnen, also den deutschen Entscheidungsträgern, werden nur leere Worte über Solidarität, aber keine erkennbaren Taten vorgeworfen«.

Der Historiker nimmt jedoch auch wahr, dass die deutschen und polnischen Wissenschaftler aufgrund der russischen Eskalation zusammenrückten, sowohl auf universitärer wie auch auf EU-Ebene. »Ältere Konflikte werden ein Stück weit zurückgenommen. Die polnische Seite schickt Sanitätszüge in die Ukraine. Man bereitet sich auf die Aufnahme von zehntausenden, wenn nicht hunderttausenden Flüchtlingen vor«. Gleichzeitig würden die ostmitteleuropäischen Staaten feststellen, dass sich die westliche Solidarität mit der Ukraine in der Regel auf Deklarationen beschränkt. »Die westeuropäischen Gesellschaften, so die Auffassungen dort, kommen nicht aus ihrer Komfortzone«.

Bömelburg und seine Gießener Kollegen sind der Auffassung, dass es einer besseren Einordnung bedarf, was die komplexe Geschichte der Ukraine und die russisch-ukrainischen Beziehungen anbelangt. »Hinter den Aggressionen vonseiten Putins stehen Vorstellungen einer verlorenen russischen Größe, eine Wiederherstellung eines russländischen Reiches«.

Gerade Deutschland, die mit dem Deutschen Reich und dem Dritten Reich historisch betrachtet ähnlich kontroverse Geschehnisse erlebt haben, müssten die Gedanken einerseits besser verstehen, andererseits jedoch auch die problematische und gewalttätige Seite betrachten. »Letztendlich gibt es einen imperialen Gedanken. Den gibt es in der russländischen Geschichte und den gab es bis 1945 in der deutschen Geschichte«.

Um gegen diese Ressentiments und Probleme aktiv vorzugehen, werden Bömelburg und weitere Dozenten der Justus-Liebig-Universität Veranstaltungen für das kommende Sommersemester zu der Problematik vorbereiten.

Mittels dieser speziellen Lehrveranstaltungen sollen offene Fragen geklärt und die Sensibilität für die Komplexität der Lage verfeinert werden. »Wir versuchen, diese Veranstaltungen sowohl für Studierende wie auch für die breite Öffentlichkeit auszurichten und möchten das in den nächsten Wochen auf den Weg bringen. Wir wollen die komplexe Geschichte der Ukraine den Menschen näherbringen«, betont Professor Bömelburg.

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