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Wie das Cello zirpt, zittert, schreit, verstummt

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Von: Thomas Schmitz-Albohn

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Cellist Attila Hündöl war als Solist extrem gefordert und löste seine Aufgabe mit Bravour. Foto: Regel © Regel

Beim jüngsten Sinfoniekonzert im Großen Haus des Stadttheaters erweist sich die Komposition der Russin Sofia Gubaidulina als Herausforderung für die Musiker wie für das Publikum.

Gießen. Die letzten Schokonikoläuse und Christstollen liegen noch in den Regalen der Lebensmittelmärkte und warten auf Käufer; die Weihnachtslieder sind gerade erst verklungen und die Kerzen noch nicht ganz heruntergebrannt, da läutet das Stadttheater bereits die Passionszeit ein.

»Pater, in manus tuas commendo spiritum meum« (Vater, in deine Hände gebe ich meinen Geist) - mit zwei kurzen Stücken aus den »Sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze« von Joseph Haydn begann am Donnerstagabend das gut besuchte Sinfoniekonzert unter der Leitung des Ersten Kapellmeisters und GMD-Stellvertreters Vladimir Yaskorski.

Die vom Philharmonischen Orchester vorgetragene Einleitung wirkte in ihrem Pathos ein wenig hölzern und schwerfällig, und auch das tonmalerische Erdbeben wollte nicht recht zünden. Vielleicht lag es auch daran, dass die Zeit für die Leidensgeschichte noch nicht reif ist und die Menschen noch nicht aschgrau gestimmt sind. Von der Konzertdramaturgie her wäre es im Hinblick auf das folgende Werk der russischen Komponistin Sofia Gubaidulina (Jahrgang 1931) vielleicht auch sinnvoller gewesen, nicht die Orchesterfassung zu spielen, sondern die klanglich subtilere Version für Streichquartett, die ein aufmerksameres Hören verlangt. Das wäre der ideale Übergang zu dem herausfordernden, wahrhaftig nicht leicht zugänglichen Werk der seit 1992 in Norddeutschland lebenden Russin gewesen.

Mit den »Sieben Worten« für Violoncello, Bajan und Streicher knüpft Sofia Gubaidulina an Haydn an. Instrumentale Metaphern und fragmentierte Klänge bilden die Grundlange ihrer tiefreligiösen Komposition. In der intensiven Wiedergabe unter Yaskorskis feinfühligem Dirigat kam klar zum Vorschein, wie sich in den ersten sechs Sätzen eine zunehmende Spannung aufbaute, die am Ende des sechsten Satzes (»Es ist vollbracht«) abbrach.

Das Orchester breitete einen dissonanten Klangteppich aus, der von Mal zu Mal dichter wurde und dessen suggestive Sogwirkung sich zusehends verstärkte. Dazu brummte, schnarrte, quietschte, miaute und grummelte das von Eva Zöllner gespielte Bajan, aber irgendeine kleine Melodie war nirgends zu vernehmen. Extrem gefordert war Cellist Attila Hündöl, der mit Bravour seine Virtuosität mit schnellen Wechseln, Glissandi und Tremoli und unter Beweis stellte. Sein Instrument zirpte, zitterte, schrie, bäumte sich auf und hauchte schließlich den Atem aus, als der Cellobogen im siebten Satz den Steg überschritt und damit gleichsam die Grenzen des Instruments. Dies symbolisierte den Eintritt in eine andere Welt, ins Jenseits.

Als Dimitri Schostakowitsch 1972 seine 15. Sinfonie A-Dur komponierte, wusste er, dass seine Kraft zu Ende ging. So ließ er noch einmal sein Leben Revue passieren, von unbeschwerten Kindheitserinnerungen über Zeiten des Optimismus bis zu den Schrecken der Stalin-Ära. Und wie es scheint, war es ihm nun einerlei, ob seine Musik noch systemkonform war oder wieder einmal die Zensur auf den Plan rief.

Dirigent hält alles im Fluss

Elegant und pointiert dirigierend ließ Vladimir Yaskorski eine besondere Beziehung zu diesem komplexen, rätselhaften Werk spüren, hielt alles wunderbar im Fluss, und das beherzt und zupackend agierende Orchester zeigte große Lust, diese Musik zwischen Melancholie, auftrumpfendem Spaß und Sarkasmus Gestalt annehmen zu lassen. Zudem ergaben sich nach dem Flötensolo (Asia Safikhanova) gleich zu Beginn etliche Möglichkeiten zu schönen Sololeistungen, etwa von Johannes Oswald (Trompete), Philippe Stier (Posaune), Maria Oliveira-Plümacher (Fagott), Lea Kristina Baerthold (Klarinette), abermals Attila Hündöl (Cello) und Konzertmeister Ivan Krastev (Violine).

Blitzte im vorwiegend heiteren ersten Satz hier und da der Reitergalopp aus »Wilhelm Tell« auf, so bestimmte im zweiten Satz ein Trauermarsch mit weiteren Musikzitaten das Geschehen. Hier wie auch im dritten Satz waren wohl die alten Geister gemeint, die sich wieder und wieder in die Erinnerung drängen. Das Motiv der Todesverkündung aus Richard Wagners »Walküre« leitete den Schlusssatz ein, in dem letztlich die Tonalität verschwamm und das Schlagwerk wie im Totentanz klapperte.

Das Publikum dankte den Künstlern am Ende mit herzlichem Applaus.

Das Stadttheater Gießen bietet zusammen mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt Hochschulabsolventen regelmäßig eine Bühne, um sich in einer Prüfungssituation vor Publikum zu präsentieren. Unter dem Titel »Junges Podium« wird die Reihe am Mittwoch, 25. Januar, um 19.30 Uhr im Großen Haus fortgesetzt. Drei Absolventinnen der Hochschule präsentieren im Rahmen ihres Konzertexamens Werke von Rodrigo, Crusell und Grieg. Das Philharmonische Orchester spielt unter der Leitung von GMD Andreas Schüller.

Sara Esturillo, mehrfach preisgekrönte Solo-Harfenistin an der Oper Frankfurt, beginnt mit dem »Concierto de Aranjuez«, dem wohl berühmtesten Werk Joaquín Rodrigos. Charlotte Sutthoff interpretiert das Concertino B-Dur für Fagott und Orchester des Finnen Bernhard Crusell. Und das einzige Klavierkonzert Edvard Griegs wird von Pianistin Da Young Kim präsentiert. (red)

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