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Wie grün ist Gießens Ökostrom?

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Von: Ingo Berghöfer

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Längst abgeschrieben: Der Franzensfester Stausee speist seit 1940 das Wasserkraftwerk Brixen, für das die Stadtwerke ihre Ökostrom-Zertifikate beziehen. Foto: Zandcee/(CC BY-SA 3.0) © Zandcee/(CC BY-SA 3.0

Gigg+Volt kritisiert Energie-Einkaufspolitik der Stadtwerke: Strom-Zertifikate leisteten kaum einen Beitrag zur Energiewende

Gießen. Die Stadtwerke Gießen (SWG) verkaufen unter dem Namen »Gießener Grünstrom Plus« und »Gießener Grünstrom Plus Drive« TÜV-zertifizierten Ökostrom aus Wasserkraftanlagen. Das gute Gewissen hat seinen Preis. Der monatliche Grundpreis im Tarif ›Gießener Grünstrom Plus‹ liegt um 35,51 Prozent über dem der Grundversorgung. Der Arbeitspreis ist sogar mehr als 50 Prozent höher.

Die höheren Tarife für den Gießener Grünstrom begründete Wright in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage von Gigg+Volt mit unterschiedlichen Kalkulationen und unterschiedlichen Beschaffungsstrategien.

Während die Stadtwerke die Energiemengen für die Grundversorgung ratierlich beschaffen, also mit einem langen zeitlichen Vorlauf, der die Kunden vor plötzlichen Preisschwankungen schützt, wie wir sie gerade in Folge des Kriegs in der Ukraine erleben, werde »Grünstrom« »marktnah« eingekauft.

Wer nun aber glaubt, mit diesem Geld einen zusätzlichen Beitrag zum Kampf gegen die Erderwärmung zu leisten, dürfte von der Antwort enttäuscht sein, die Bürgermeister Alexander Wright in der jüngsten Stadtverordnetenversammlung auf eine Anfrage von Johannes Rippl (Gigg+Volt) gab. Mit den Preisaufschlägen werde der Neubau von Anlagen der Erneuerbaren Energie nicht gefördert, so Wright.

Von dem Geld werden stattdessen Wasserkraft-Zertifikate für bereits bestehende Anlagen erworben. Im Falle der SWG ist das das Kraftwerk der Stadt Brixen in Südtirol. Die altehrwürdige Anlage ging bereits 1940 ans Netz, damals allerdings nicht mit dem Ziel, umweltfreundlichen Strom zu produzieren, sondern, so der Wille des damaligen faschistischen Machthabers Benito Mussolini, Italiens Stromversorgung unabhängiger zu machen. Diese Anlage dürfte also längst abgeschrieben sein und keine zusätzliche CO2-Einsparung ermöglichen. Rechtlich ist das sauber und durch die geltende Umweltgesetzgebung gedeckt.

Laut Rippl hätten die Stadtwerke aber durch eine »wie auch immer geartete« Beteiligung am möglichen Windpark Fernwald eine Chance, stärker in erneuerbare Energien in der Region zu investieren. Laut Aussage von Bürgermeister Wright bei der Vorstellung des aktuellen Stands in der Fernwaldhalle, hätten die SWG jedoch daran kein Interesse, meint Rippl. Selbst wenn sie eine direkte Beteiligung aufgrund des ökonomischen Risikos scheuten, könnten sie doch zumindest den künftigen Windstrom aus Fernwald per Abnahmevertrag ankaufen.

Ähnlich wie bei den Stromzertifikaten verhalte es sich auch beim Ankauf der CO2-Kompensationszertifikate, sagt Rippl. So würden »billigste Zertifikate« einer Wasserkraftanlage in Indien als Ausgleich für die Emmisionen in Gießen gekauft, statt auch diese Finanzmittel in den Ausbau der erneuerbaren Energien vor Ort zu investieren.

Auch das ist ein legales und verbreitetes Vorgehen, das man nicht nur bei den SWG, sondern bei anderen Stadtwerken, beispielsweise in Landshut oder Düren, findet. Unumstritten ist dieses Vorgehen bei Umweltschützern jedoch nicht. So stehen laut einem Bericht der Deutschen Welle allein im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh mehr als 800 Wasserkraftwerke auch an kleinen Flüssen, die Wassermangel verursachen und Bauern landwirtschaftlicher Flächen damit auch ihrer Lebensgrundlage berauben.

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